In der Gewalt der geheimen Staatspolizei

Am 10. Februar 1942 fuhr Theo Hespers von Halle aus nach Antwerpen, um im Rathaus der Stadt neue Lebensmittelmarken abzuholen. Die Familie lebte nun schon seit zwei Jahren illegal in Belgien, in ständiger Furcht, von der deutschen Besatzungsmacht entdeckt zu werden. Diesmal wurde aus der Angst bittere Wirklichkeit: Hespers, der mit falschen Papieren gereist war, kehrte nicht mehr zu seiner Familie zurück. Durch Zufall wurde er von der Gestapo entdeckt, verhaftet und in das Marinegefängnis von Antwerpen gebracht.

Er traf dort zunächst seine Frau wieder, die zwei Tage nach ihrem Mann in Halle ebenfalls fest­genommen worden war. Käthe Hespers wurde weiter in das Frauengefängnis Vechta überführt, wo sie bis zum 14. November 1942 in Haft blieb. Sie konnte in den Verhören die Gestapo davon über­zeugen, dass sie von den Aktivitäten ihres Mannes nichts gewusst habe. Die Gestapo schrieb herab­lassend über Käthe Hespers: „Bei Frau Hespers handelt es sich um eine Person, die dem Arbeiterstand entstammt und geistig nicht hoch zu bewerten ist. Frau Hespers ist unterleibsleidend und während ihres Aufenthalts in Holland viel am Hause gebunden. Beweise, die dafür sprechen, dass Frau Hespers ihren Mann in seiner Spionagetätigkeit unterstützt beziehungsweise hiervon wusste, liegen nicht vor.“ Noch vor Weihnachten kehrte sie zu ihrem Sohn Dirk zurück, der in der Zwischenzeit wieder in Mönchengladbach bei seinen Großeltern lebte.

Hespers stand unter dem Verdacht, ein Spion zu sein, und kam aus diesem Grund von Antwerpen zunächst nach Wilhelmshaven in das für Geheimdiensttätigkeiten zuständige Marinegefängnis. Der Gladbacher stand nun unter der Gewalt der Geheimen Staatspolizei, die von ihm nur eins wollte: Sein Geständnis und die Namen seiner Freunde aus dem Widerstand. Drei Monate lang erwarteten den Gladbacher in Wilhelmshaven jeden Tag neu stundenlange grausame Verhöre. Schlafentzug und andere Foltermethoden waren die Regel. In Wilhelmshaven ging es der Gestapo im Wesentlichen um Hespers‘ nachrichtendienstliche Aktivitäten.

Die Protokolle dieser Verhöre zeigen uns, dass der Beschuldigte so wenig wie möglich von dem zugab, was ihm vorgeworfen wurde. Verschiedene Aussagen, unter anderem der beiden Spitzel Peulen und Heinrichs, belasteten Theo Hespers jedoch so schwer, dass er viele Eingeständnisse machen musste: „Bei Hespers handelt es sich um eine Person, die in ihrer Aussage sehr vorsichtig ist und nur das einge­steht, wofür Beweise vorliegen. Heute spielt Hespers den Unschuldigen und versucht glaubhaft zu machen, seine Nachrichtentätigkeit so durchgeführt zu haben, dass dem Deutschen Reich ein Schaden nicht entstehen konnte“, hieß es im Schlussbericht, den die Geheime Staatspolizei Wilhelmshaven am 28. Mai 1942 verfasste. Die Beweise gegen Hespers reichten der Gestapo aus, um diesen Bericht mit der Bitte um Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in Berlin weiterzuleiten.

Im Juni 1942 kam Theo Hespers in das Untersuchungsgefängnis nach Moabit. Unter der Regie der Berliner Geheimen Staatspolizei begann für den Häftling die Prozedur der Verhöre von neuem. Diesmal ging es den Ermittlern um Hespers‘ gesamte Aktivitäten in der Emigration – die Zeit in Melik, der Kontakt zu Ebeling, die Gründung der „Kameradschaft“ sowie der „Deutschen Jugendfront“ und die Kontakte zum Secret Service. Ebenso wie in Wilhelmshaven gab Hespers so wenig wie möglich von seinen politischen Tätigkeiten in der Emigration zu. Hespers musste dabei geschickt taktieren: Er durfte die Freunde nicht verraten und hoffte gleichzeitig, das drohende Todesurteil durch eine „mildere“ Gefängnis- oder KZ-Strafe abwenden zu können.

Im Schlussbericht der Geheimen Staatspolizei vom 1. März 1943 behauptete der zuständige Kriminal­angestellte: „Der Unterzeichnete kann nicht umhin, das Wesen des Hespers als das eines Jesuiten zu charakterisieren, der immer versucht, den gestellten Fragen auszuweichen und ein wirklich einmal gegebenes Zugeständnis im nächsten Satz zu widerrufen.“


„Ich habe keinen verraten“

„Ja allein sein ist schwer, aber allein sein und nicht zu wissen, ob man Leib und Seele noch retten kann, das ist nicht in Worte zu fassen“, schrieb Hespers in einem Brief an seine Mutter aus der Haft. In der Einsamkeit seiner Zelle blieben für Theo Hespers Briefe – neben einigen Besuchen – der einzige Kontakt zu seiner Familie. Auch von „draußen“ kam Post und, was für den Eingesperrten ebenso wichtig war, Pakete mit Lebensmitteln, Wäsche, Toilettenartikeln und anderen nützlichen Alltagsdingen, die Hespers hinter Gittern fehlten. Natürlich wurden diese Briefe zensiert und auch die Pakete erreichten Theo Hespers oft nicht mehr vollständig.

Die Haftbedingungen, die Verhöre, die Angst um das eigene Leben sowie die Sorge um seine Frau Käthe und seinen Sohn Dirk waren deprimierend. „Schickt mir bitte noch einmal etwas Nerven­pulver, wie das Letzte. (Von der Zensur geschwärzt). Ich fühle mich manchmal etwas schwach im Kopf und glaube, dass mir dies vielleicht helfen würde“, schrieb Hespers ein anderes Mal. So blieb es nicht aus, dass der Eingesperrte krank wurde: Er litt lange Zeit unter Mandelentzündung, die nicht ausheilen konnte, schließlich bekam Theo Hespers sogar eine schmerzhafte Gesichtsrose. Wegen seiner Krankheiten konnte er längere Zeit nicht richtig essen und magerte immer mehr ab.Trotz seiner verzweifelten Lage traf der Inhaftierte Vorkehrungen für die Zeit nach seinem Tod. „Wie froh und dankbar bin ich, dass Willi mich besucht hat. Es hat mich tief ergriffen noch einmal jemand von Euch liebsten Menschen begegnen zu können und zu erleben, dass Ihr solchen Anteil an meinem Schicksal nehmt. Viel konnten wir uns ja nicht sagen, aber Worte tun es ja nicht! Dir lieber Bruder werde ich ewig dankbar sein, was Du für meinen Jungen tun wirst, sei Du ihm wie ganz und gar ein Vater, wenn ich es nicht mehr sein kann“.

Das gute und herzliche Verhältnis zu seiner Mutter und den Geschwistern – Franz Hespers lebte zu dieser Zeit nicht mehr – und besonders der Wunsch, seine Frau und seinen Sohn wiederzusehen, hielten Theo Hespers in dieser schwierigen Zeit aufrecht: „Hoffentlich wird es mit dem Besuch von Dieter gut gehen. Ich freue mich sehr darauf, obwohl es schmerzhaft ist, mein Kind unter diesen Verhältnissen wiedersehen zu müssen und wer weiß, was danach kommt. Aber dieses eine Mal möchte ich mit ihm noch mal recht von Herz zu Herzen sehen und sprechen.“ Dieser letzte Wunsch wurde erfüllt: Im Sommer 1943 durfte Dirk Hespers mit seiner Tante Berta seinen Vater noch einmal im Gefängnis besuchen. Hespers war damals schon über ein Jahr in einer sehr kleinen Zelle eingesperrt. Sein Sohn sah ihn abgemagert und wie einen alten Mann vollständig ergraut wieder. Dennoch leuch­teten seine Augen, als er seinem Sohn zurief: „Dirk, hoe gaat het mit je?“, worauf der Wachhabende ihn anschrie: „In Deutschland wird nur Deutsch gesprochen!“ Ganz am Ende des Treffens gab Hespers seinem Sohn ein Vermächtnis mit auf den Weg: „Wenn die mich umbringen, sorg für deine Mutter – und sag den Freunden: Ich habe keinen verraten!“


Kurzer Prozess

Über 100 Seiten umfassen die Protokolle des Ermittlungsverfahrens gegen den inhaftierten Hespers in der Zeit vom Juni 1942 bis April 1943. Im Schlussbericht wird dem Gladbacher Widerstandskämpfer vorgeworfen, durch seine Tätigkeit in Melik ebenso wie durch die Gründung der „Deutschen Jugend­front“ sich der „Vorbereitung des gewaltsamen Umsturzes in Deutschland“ schuldig gemacht zu haben. Außerdem hätten er und Ebeling geplant, nach dem Umsturz die Regierung in Deutschland zu über­nehmen. Verschiedene Artikel in der „Kameradschaft“ wie „So wollen wir Deutschland“ seien Beweis für diese Absicht. Hespers wurde außerdem vorgeworfen, Verbindungen im Reich besessen zu haben, mit deren Hilfe er Informationen für seine Artikel gesammelt und an ausländische Agenten weitergegeben haben. All diese Vorwürfe reichten dem Volksgerichtshof aus, um Hespers der „landesverräterischen Feindbegünstigung“ anzuklagen. Am 13. April 1943 erhielt Hespers den Haftbefehl vom Ermittlungsrichter des Volksgerichtshofes wegen des dringenden Verdachtes eines fortgesetzten Verbrechen der Vorbereitung zum Hochverrat“. Es folgte die 32-seitige Anklageschrift des Oberreichsanwaltes beim Volksgerichtshof vom 30. Mai 1943: Der Prozess gegen Hespers fand vor dem 5. Senat dieses nationalsozialistischen Sondergerichtes in Berlin statt – der obersten Instanz zu Unterdrückung jeder oppositionellen Regung im Reich.Trotz der Hoffnungslosigkeit seiner Situation bemühte sich Hespers bis zum Schluss um eine gute Verteidigung. „Bei näherer Betrachtung ist meine Sache doch so ernst und kompliziert, dass es schon wünschenswert wäre, wenn ich einen eigenen, vertrauenswürdigen Anwalt bekäme. Vielleicht erkundigt Ihr Euch auch mal bei Dr. Werner Becker, der ja auch Jurist ist, ob er jemanden weiß, der empfehlenswert oder entgegenkommend ist“, schrieb er nach Hause. Tatsächlich meinte Hespers Dr. jur. Curt Becker, den Sohn des Fabrikbesitzers Clemens August Becker aus Mönchengladbach, nach dem Krieg lange Gladbacher CDU-Bundestagsabgeordneter.

Doch in einem Unrechtssystem gibt es keinen fairen Prozess – Hespers Pflichtanwalt, Hans Astfalck, legte das Mandat für den Angeklagten nieder: Er sei nicht gewillt einen „Landesverräter“ zu ver­teidigen, begründete er diesen Schritt. Dem 39-Jährigen blieb niemals eine reelle Chance mit dem Leben davon zu kommen. Die Nationalsozialisten hatten seinen Tod bereits beschlossen, denn für sie war Hespers „einer der gefährlichsten Gegner des nationalsozialistischen Deutschland (…), den nur die härteste Strafe treffen kann“, wie es in dem Ermittlungsverfahren gegen den Gladbacher heißt. Das Urteil, Tod durch Erhängen, wurde am 22. Juli 1943 vom Volksgerichtshof ausgesprochen. Die Begründung: Vorbereitung zum Hochverrat und Landesverrat.


Ein Leben für das deutsche Volk

Am 9. September 1943 fuhr Berta Hespers nach Berlin zum Volksgerichtshof um die Erlaubnis zu erhalten, ihren Bruder im Gefängnis Plötzensee besuchen zu dürfen. Im Büro des Gerichtshofes musste sie lange warten, dann erhielt sie dort die knappe Auskunft: „Es ist zu spät“. Den traurigen Sinn dieser Worte konnte Theos jüngste Schwester zunächst nicht begreifen, erst später wurde ihr erklärt, dass das Urteil gegen ihren Bruder Theo bereits vollstreckt worden war. Verzweifelt hatten sich die Mutter und Käthe Hespers in einem Gnadengesuch noch einmal an Adolf Hitler persönlich gewandt und auch den aus Rheydt stammenden Reichspropagandaminister Joseph Göbbels in einem Schreiben daran erinnert, dass er gemeinsam mit Hespers 1923 gegen die Separatisten gekämpft habe. Doch alle Bemühungen waren vergeblich geblieben, es gab keine Gnade für den zum Tode Verurteilten: Am frühen Morgen des 9. September wurde Theo Hespers mit circa 26 anderen Todeskandidaten in Berlin-Plötzensee erhängt.

Berta Hespers bat um die Herausgabe der Leiche – dem toten Bruder eine würdige Beerdigung zu ermöglichen war das einzige, was sie noch für ihn tun konnte. Doch selbst diese Bitte wurde ihr mit der Begründung abgeschlagen, um Erinnerungsfahrten zu vermeiden, gebe man die Toten nicht heraus. Theo Hespers Leichnam sei bereits verbrannt, seine Asche zerstreut worden. Von dem Gefängnispfarrer Buchholz erfuhr Theos Schwester, dass nach einer Bombardierung des Gefängnisses die schnelle Hinrichtung der Gefangenen beschlossen worden sei. Der Geistliche erzählte Berta Hespers weiter, ihr Bruder sei sehr tapfer in den Tod gegangen. Auf dem Weg zur Hinrichtungs­stelle habe er seine Angehörigen grüßen lassen, vor allen Dingen seinen Sohn, für den er sich eine christliche Erziehung wünschte. „Ich opfere mein Leben für das deutsche Volk“, waren Theo Hespers‘ letzte Worte.

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