Ein Haus in Melick

Das neue Zuhause der Familie Hespers in Melick lag so nahe an der deutsch-niederländischen Grenze, dass Familienangehörige, Freunde und Bekannte aus der alten Heimat zu Besuch kommen konnten und dies auch häufig taten. Zu den Gästen gehörte eine Gruppe von etwa 20 jungen Leuten, die Hespers zum größten Teil aus der Gladbach-Rheydter Jugendbewegung kannte: Peter Kamphausen, Gottfried Zitzen, Otto Engels, Hans von Dahlen, Ernst Eggerath, Käthe Scheufeldt und Hans Brings sind die Namen, die wir aus den Gerichtsakten der Gestapo und den Erinnerungen von Hans von Dahlen heute noch kennen.

Die meisten kamen aus Gladbach-Rheydt und wie Hespers gehörten sie bis zur Machtergreifung linken Parteien oder der Gewerkschaftsbewegung an. Nun, da diese inzwischen gleichgeschaltet und verboten worden waren, konnten die Nazigegner nur noch illegal und unter größten Gefahren für ihre Sache politisch aktiv werden.

Dem kleinen Häuschen der Hespers kam für ihre verbotene Arbeit in den folgenden Monaten eine wichtige Rolle zu: „Von diesem Häuschen aus gingen Fäden und Verbindungen kreuz und quer durch Europa. Auch die sorgfältig gehüteten Verbindungen in das illegale, kämpfende Deutschland. Was die Mauern erzählen könnten, ist wahrscheinlich eines der ruhmreichsten Kapitel des Deutschen Wider­standes. Seele und Motor der Arbeit war Theo Hespers“, berichtete Hans von Dahlen. Was also geschah von 1933 bis 1934 in Melick? Das Haus von Theo Hespers entwickelte sich zu einem Zentrum, von dem aus antinazistisches Material – sozialdemokratisch oder kommunistisch geprägt – durch Mittelsmänner in das Reich gebracht wurde.

Die kommunistischen Schriften und Broschüren bezog Hespers hauptsächlich von Alfred Katzenstein und Gertrude Sanders, die ebenfalls eines Tages an die Tür seines Häuschens geklopft hatten. Beide gehörten, bevor sie nach Paris und Amsterdam emigrieren mussten, in Rheydt dem jüdischen Jugend­bund „Die Kameraden“ an und waren überzeugte Kommunisten. Es ist nicht sicher, ob der wesentlich jüngere Katzenstein und Hespers sich bereits aus Gladbach kannten, da christliche und jüdische Gruppen normalerweise keinen Kontakt miteinander hatten. Wahrscheinlich lernten sich die beiden über ihren gemeinsamen Freund Max Behretz kennen.

Zu dem Material, das an Hespers ging, gehörten unter anderem eine Abhandlung über den Reichtags­brandprozess und eine Broschüre mit dem Titel „Internationale Korrespondenz“. Die Prozessakten nennen außerdem Druckschriften wie „Rundbriefe katholischer Antifaschisten“, „Freiheit“, „Rote Fahne“, „Internationale Gewerkschaftskorrespondenz“ und der „Revolutionär“. Hespers gab diese Broschüren der Gruppe um Otto Engels und Hans von Dahlen weiter, die sie wiederum auf verschiedenen aben­teuerlichen Wegen – etwa mit Gemüsewagen oder auf Rhein-Maas-Schiffen – über die grüne Grenze nach Deutschland schmuggelten. Im Rhein-Ruhr-Gebiet fanden die kommunistischen Schriften Abnehmer, die sie lasen und weiterverbreiteten.

Ein weiterer Kontaktmann Hespers‘ war Jan Zanders, ein holländischer Kommunist aus Heerlen. Hatte er zunächst Hans von Dahlen direkt mit Broschüren in deutscher Sprache versorgt, so lieferte er später ebenfalls an das Häuschen in Melick. In der Folgezeit, bis zum Sommer 1934, bekam Hespers in Abständen von drei bis vier Wochen regelmäßig Material, das er an die Gladbacher Gruppe weiter­leitete. Der niederländische Sozialist Max Behretz schloss sich Hespers an und unterstützte dessen Arbeit, indem er zum Mittelsmann zwischen Zanders und der Gladbacher Gruppe wurde.

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