Der Widerstandskämpfer Theo Hespers und seine jüdischen Mitstreiter*innen 

Theo Hespers wurde am 12. Dezember 1903 als zweites Kind seiner in Mönchengladbach lebenden Eltern geboren. Er hatte noch zwei Brüder und drei Schwestern. Sein Elternhaus war zwar nicht wohlhabend, aber gut bürgerlich. Die Eltern waren vaterländisch eingestellt und erzogen ihre Kinder streng katholisch. Die Familie wohnte Am Kämpchen 1. 

Nach seiner Volksschulzeit besuchte Theo das Stiftische Humanistische Gymnasium wie sein Altersgenosse Hans Jonas. Sie waren allerdings nicht in derselben Klasse. Josef Wilbertz war sein bester Schulfreund. Theo war ein guter Schüler – ein Allrounder – der auch musisch begabt war. Trotzdem war er kein unkritischer Schüler, sondern ein Junge, der alles hinterfragte. 

1917 als Vierzehnjähriger wurde Theo Mitglied im Quickborn, dem ältesten katholischen Bund der Jugendbewegung. Leben aus dem katholischen Glauben, Einsatz für Frieden und Völkerverständigung wie auch der Verzicht auf Alkohol und Nikotin standen im Mittelpunkt der Gemeinschaft. Die deutsche Jugendbewegung, hervorgegangen aus dem Altwandervogel, war schon seit der Jahrhundertwende im Aufbruch. Sie gab sich 1913 auf dem Hohen Meißner ihre Formel: „Die freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung, aus eigener Verantwortung und in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten.“ Gegen den Nationalismus des Kaiserreiches und die enge Erwachsenenwelt setzten Gruppen wie der Wandervogel ihren Traum von einem selbstbestimmten Leben in Offenheit, Einfachheit, Natur, Gemeinschaft und Auf-Fahrt-Gehen. Im Quickborn durften ab 1913 auch Mädchen Mitglied werden, was zu damaliger Zeit einer Revolution glich. Über den Quickborn kam Theo auch zum Friedensbund der Katholiken und lernte hier andere politische Meinungen kennen und tolerieren. 

Theo hatte Spaß daran zu organisieren und zu leiten und wurde schon bald Ortsgruppenleiter und später Kreisleiter für den Bezirk Niederrhein. Gruppenführer in der Jugendbewegung waren häufig starke und charismatische Persönlichkeiten. Die Ideale der Jugendbewegung sowie seine Erfahrungen und Fähigkeiten als Gruppenführer begleiteten Theo ein Leben lang. Obwohl Theo gerne seine Schullaufbahn mit dem Abitur abgeschlossen hätte, musste er nach der 10. Klasse, dem sogenannten Einjährigen, abgehen, da sein Vater verlangte, dass er nach dem Abitur Theologie studiere, einen Weg, den Theos jüngerer Bruder Willi gegangen ist. Aber Theo wählte einen anderen Weg, nicht zuletzt wegen seiner Abneigung gegen den Zölibat. Von 1920 bis 1923 machte Theo in der Buntweberei Fellinger & Pelzer in Mönchengladbach eine kaufmännische Lehre. Es war für ihn eine große Umstellung. In dieser Zeit lernte er viel, vor allem die Lebensart der einfachen Arbeiter, die ihm ans Herz wuchs. Nach der Lehre machte Theo von 1923 bis 1926 an der Preussischen Höheren Fachschule für Textilindustrie, der heutigen Hochschule Niederrhein, seinen Werkmeister, heute Ingenieur. Danach hatte er berufliche Aufstiegschancen. Theo zog es jedoch vor, als Jugendbewegter auf Fahrt zu gehen. Und so ging er mit seinem Freund Otto Westfalen für ein Jahr auf eine Großfahrt zu Fuß von Mönchengladbach über die Schweiz nach Italien, von dort über Südfrankreich nach Spanien bis Spanisch-Marokko. Für eine Weiterreise reichten die Finanzen nicht mehr. Auf dieser Fahrt lernte Theo das Elend und die bittere Armut großer Bevölkerungsteile in allen Ländern kennen, das ihn bleibend betroffen machte. Theo trat der Internationalen Arbeiterhilfe bei und wurde schon bald zweiter Vorsitzender. In dieser Funktion nahm er 1927 an einer achtwöchigen Delegationsreise in die UDSSR teil. In Moskau erhielt er die Genehmigung, das Textilgebiet an der oberen Wolga und den Kaukasus bis zur persischen Grenze zu bereisen. Nach seiner Rückkehr war Theo bis 1933 in verschiedenen Gladbacher Betrieben beschäftigt, immer wieder durch Arbeitslosigkeit unterbrochen, ein Los, das in wirtschaftlich schlimmen Zeiten in unserer Stadt bis zu 50% der arbeitenden Menschen betraf. Theos Glaube, seine Ideale, seine Erfahrungen und seine Fähigkeiten motivierten ihn politisch gegen Elend und Ungerechtigkeit anzutreten. Theo Hespers hatte 1930 eine Quickbornerin, Käthe Kelz, von der Brunnenstraße in Mönchengladbach geheiratet. Sie zogen in Käthes Elternhaus auf der Brunnenstraße 116. Im Jahr 1931 wurde ihr einziges Kind, ihr Sohn Dietrich Hespers, geboren. Mitte April 1933 trat der neue Reichstag in Berlin in der Krolloper zusammen. Sofort in der ersten Sitzung brachten die Nazis das Ermächtigungsgesetz ein. Nur die SPD-Abgeordneten stimmten dagegen. So trat das Gesetz mit sofortiger Wirkung in Kraft. Schon am nächsten Tag begannen die Nazis mit der Verhaftung ihrer Gegner und Theo Hespers stand natürlich auf ihrer Liste. Als Theo Hespers in der zweiten Aprilwoche 1933 von der Arbeit nach Hause ging, wurde er gewarnt, dass die Gestapo das Haus auf der Brunnenstraße umstellt hatte, um ihn zu verhaften. Er machte kehrt und ging zu seinem Elternhaus Am Kämpchen. Dort hatte er vorsichtshalber seinen Reisepass und den seiner Frau aufbewahrt. In der Nacht floh er über wohlbekannte Wege über die Grenze in die benachbarten neutralen Niederlande. Sein Ziel war das Kloster Marienthal bei Venlo, ein Dominikanerinnen Kloster, in dem seine Tante Maria, eine Schwester seines Vaters, als Schwester Christophera Priorin war. Dort konnte er vier Wochen bleiben. Danach versuchte er über vier Wochen zwischen Venlo und Roermond verzweifelt eine Bleibe zu finden. Über Hans van Dahlen, einen Gladbacher Jugendbewegten, bekam er die Adresse von Max Behretz, den auch Theo aus der internationalen Friedensbewegung kannte. Max Behretz war niederländischer Staatsbürger und Jude. Von Beruf war er Radiotechniker. Er war nicht nur Mitglied in der niederländischen Friedensbewegung, sondern auch Sozialdemokrat und als solcher Vorsitzender in Roermond. Max nahm Theo in seinem Elternhaus auf und unterstützte ihn. Dann suchte er eine dauernde Bleibe und fand für Theo ein leerstehendes Häuschen in Melick-Gebroek in der Nähe von Roermond nahe der deutsch-niederländischen Grenze. Danach holte Max ebenfalls auf Schleichwegen über den Mainweg bei Elmpt Theos Frau Käthe und Sohn Dietrich nach Melick. Kurz danach organisierte Max noch mit einen LKW den Möbeltransport von der Brunnenstraße nach Melick. Die Familie lebte dort vom Gemüseanbau und dem Verkauf von Refornhaus-Artikeln durch Theo, und zwar im Wesentlichen an den großen Bekanntenkreis von Max Behretz. Und von diesem Häuschen aus begann Theo Hespers sofort wieder seinen politischen Widerstand. Die Nähe zur Grenze ermöglichte es Verwandten, Freunden und Bekannten zu Besuch zu kommen und davon wurde regelmäßig Gebrauch gemacht. Theo nutzte diese Umstände zum Aufbau eines Widerstandskreises. Max Behretz unterstützte Theo dabei. Wichtig war eine rund 20-köpfige Gruppe junger Menschen aus der Jugendbewegung, die meisten aus Mönchengladbach, die Theo persönlich kannte. Theo begann mit dem Aufbau eines Verbindungsnetzes in ganz Europa. Er sammelte Schrifttum gegen die Nazis, übergab es der Mönchengladbacher Gruppe, die das Material illegal nach Deutschland brachte. Die Schriften wurden im Rheinland und vor allem im Ruhrgebiet gelesen und weiterverbreitet. Bekanntes Material waren die Abhandlung über den Reichstagsbrandprozess, die „Internationale Korrespondenz“, die „Rundbriefe katholischer Antifaschisten“, „Die Freiheit“, die „Rote Fahne“, die „Internationale Gewerkschaftskorrespondenz“ und der „Revolutionär“. Es handelte sich im Wesentliche um antinazistisches Material sozialdemokratischer und kommunistischer Prägung. Das meiste kommunistische Schrifttum bekam Theo von Alfred Katzenstein. Alfred Katzenstein war am 16. Mai 1915 in Mönchengladbach geboren. Es war Deutscher und Jude. Auch er war Schüler des Stiftischen Humanistischen Gymnasiums. Schon früh war er Mitglied in der jüdischen Jugendbewegung „Kameraden“ und im kommunistischen Jugendverband. Als Gymnasiast hatte er Flugblätter gegen die Nazis verteilt und musste fliehen. So kam er über Max Behretz zu Theo. Aus Mönchengladbach wurde er weiter unterstützt von seiner Schwester Elli und seinem Bruder, vor allem aber von Gertrud Sander, einer Jüdin und Fabrikantentochter aus Mönchengladbach. Die niederländischen Behörden hatten von dieser Aktion erfahren und forderten das deutsche Auswärtige Amt auf, nicht mehr auf niederländischem Gebiet aktiv zu werden. Im Gegenzug verlangte die deutsche Regierung, Theo aus der Provinz Limburtg auszuweisen. So musste er das Grenzgebiet verlassen und über die Maas gehen.Außerdem wurde ihm untersagt, noch weiter politisch tätig zu sein. Zuerst zog Familie Hespers nach Helmond in Nordbrabant und im Mai 1936 nach Eindhoven. Wieder musste Theo nochmals neu beginnen. Aber die holländischen Jugendgruppen in Helmond und Eindhoven halfen ihm, einen jugendbewegten Reformladen einzurichten. Theo war, um seine Kunden zu versorgen, viel mit Fahrrad und Koffer unterwegs. Dies ermöglichte ihm, weiter Kontakte zu pflegen und verbotene Schriften zu transportieren. Schon unmittelbar nach seiner Flucht aus Mönchengladbach hatte Theo den Kontakt mit der katholische Kirche der Niederlande aufgenommen und arbeitete mit dem Kreis um den emigrierten Jesuitenpater Friedrich Muckermann zusammen. Außerdem gründete Theo gemeinsam mit Peter Lüdges, ein Zentrumsmitglied aus Viersen-Süchteln, ein Katholisches Komitee in Utrecht. Zusätzlich schrieb Theo jeden Monat Beiträge für die Zeitschrift „der Deutsche Weg“, eine katholische Widerstandszeitschrift. Also auch diese seine Arbeit ging weiter. Und dabei halfen ihm nach besten Kräften Max Behretz und Alfred Katzenstein. Katzenstein ging allerdings 1936 nach Spanien, um als Kommunist gegen Franco zu kämpfen. Dort bleib er bis zum bitteren Ende. Die Folge für ihn war, dass er in Frankreich in das berüchtigte Internierungslager in den Pyrenäen gelangte. Seine Familie war zwischenzeitlich aus Mönchengladbach in die USA ausgewandert. Ihr gelang es, Alfred aus dem Lager heraus und ebenfalls in die USA zu holen. Dort studierte Alfred Medizin und Psychologie. 1943 meldete er sich freiwillig zur Armee und gelangte als amerikanischer Soldat nach Kriegsende nach Mönchengladbach. Zurückgekehrt in die USA schloss er sein Studium erfolgreich ab und arbeitete an einer medizinischen Einrichtung für verwundete Amerikaner mit Kopfverletzungen. Während der Verhaftungszeit amerikanischer Kommunisten unter McCarthy drohte Alfred auch die Verhaftung. Darauf floh er in die Niederlande. Dort erhielt er von der DDR ein Angebot als Professor in Ostberlin, das er annahm und bis zur Pensionierung ausübte. Auch danach blieb er in Ostberlin. Nach dem Mauerfall wurde er 1994 Mitglied der Theo-Hespers-Stiftung und ist 1997 in Berlin gestorben. Ab 1936/37 arbeitete die Niederländerin Antonia Verhagen – sie war Mitglied der niederländischen Jugendbewegung – für Theo als seine Sekretärin. Sie war eine ausgezeichnete Stenotypistin, und als Käthe Hespers längere Zeit an einer Nierenbeckenentzündung litt, zog sie in das Haus der Hespersfamilie. Sie wurde zu einer wichtigen Mitarbeiterin, denn sie perfektionierte die niederländischen Sprachkenntnisse Theos und verschaffte Theo über ihren großen Freundeskreis Kontakte zu politisch einflussreichen Freunden.

 1935 nahm ein anderer deutscher Emigrant aus Deutschland zu Theo Kontakt auf und besuchte ihn in Helmond. Es war Dr. Hans Ebeling, einziges Kind einer Großbürgerfamilie aus Krefeld. Geboren war er am 2. September 1897. Er war Leutnant im 1. Weltkrieg und anschließend Mitglied im Freikorps.

 Außerdem war er Führer des Jungnationalen Bundes, einer nationalen und revolutionären Strömung der Jugendbewegung. 1924 gründete Ebeling die Pfadfinderschaft Westmark, in der auch Theo Mitglied wurde. Seit dieser Zeit kannten sich die beiden reichsbekannten Jugendführer. Auch Ebeling war schon lange vor 1933 ein erbitterter Gegner der Nazis, von denen er zunächst vorübergehend verhaftet wurde und danach in die Niederlande, später nach Belgien emigrierte. Zwischen Hespers und Ebeling entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem Ziel, alle Angehörigen der deutschen Jugendbewegung, die im Ausland lebten, in einer politischen Organisation zusammenzuführen. Erster Schritt war die Gründung des „Arbeitskreis der bündischen Jugend“, der für die Presseagenturen des Auslandes die „Sonderinformationen deutscher Jugend“ und bis Mitte 1937 die „Bündischen Rundbriefe“ herausgab. Zur Unterstützung ihrer Arbeit nahmen sie nicht nur weitere Kontakte in den Niederlanden sondern auch nach Belgien und Frankreich auf. Im Juni 1937 fand der berüchtigte Essener Prozess gegen Mitglieder des „Jungnationalen Bundes“ statt, dessen Führer ja Ebeling war. Die harten Strafen gegen die Mitglieder der Bündischen Jugend wurden im Ausland bekannt und empörten die niederländischen Jugendorganisationen so, dass sie forderten, die deutsche Jugend zu unterstützen, und eine Hilfsaktion für die in Essen Angeklagten ins Leben riefen. Daraus entstand ein neues Netz von Verbindungen um Ebeling und Hespers. Zu ihnen gehörten so bekannte Namen wie Eberhard Koebel (bekannter als „tusk“) und Fritz Borinski, beide in London, der Dichter Karl Otto Paetel in Paris, Walter Hammer-Hoesterey in Kopenhagen, der Sozialdemokrat Hans Stoffers und der Kommunist Werner Kowalski in Brüssel. Hespers und Ebeling luden für den 17. und 18. Juli 1937 zur Brüsseler Konferenz in ein Hotel: Sie wollten eine Exilvertretung der deutschen Jugend verschiedener politischer Richtungen gemeinsam mit Vertretern der Jugendbewegung anderer Nationen gründen. Werner Kowalski und Erich Jungmann vertraten alle jungen Kommunisten. Arnold Littmann war der Gesandte der deutschen Pfadfinderschaft. Lavacherie vertrat die Interessen der belgischen, Gerrit Alders die der niederländischen Jugend, Carrit und Jones die britische Jugend. Theo Hespers hielt ein Referat zur „Lage der bündischen Jugend – unter besonderer Berücksichtigung der katholischen Jugend“. Schon bald kam es zu Spannungen, weil die kommunistischen Vertreter eine Unterordnung aller unter den von der Einheitsfront in Paris gebildeten „Weltjugendausschuss“ verlangten. Diesen Führungsanspruch der Kommunisten, der dem Allein-Vertretungsanspruch der Hitlerjugend in Deutschland glich, war für Hespers, Ebeling und Paetel inakzeptabel. Dieser Anspruch politischer Führung und der verwerfliche Nicht-Angriffs-Pakt zwischen Stalin und Hitler waren für Theo der Bruch einer weiteren Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Auf einer zweiten Konferenz gründeten Hespers und Ebeling mit den anderen Vertretern der Jugendbewegung die „Deutsche Jugendfront“, die ab November 1937 die Zeitschrift „Kameradschaft – Schriften junger Deutscher“ herausgab. Es erschienen 24 Ausgaben bis 1940, dem Überfall der Nazis auf die neutralen Niederlande. Die Auflage war über 2000 Stück und wurde sowohl nach Deutschland als auch ins Ausland verschickt. Neben Hespers und Ebeling schrieben rund 50 andere Verfasser Artikel: auch herausgeschmuggelte Artikel aus Deutschland. Daneben gab die „Deutsche Jugendfront“ den Pressedienst „Sonderinformationen Deutsche Jugend“ heraus. Dieser wurde im Wesentlichen von Theo und Antonia Verhagen betreut. Durch Antonias Beziehungen bekamen Ebeling und Hespers auch Kontakt zur niederländischen Jüdin Selma Cato Meyer. Selma Meyer wurde am 6. Juni 1890 in Amsterdam geboren. Nach dem Schulbesuch 1908 war sie bis 1921 im kaufmännischen Bereich tätig. 1921 bereiste sie die Schweiz, Italien, Frankreich und Deutschland. 1923 übernahm sie – zunächst mit einer Geschäftspartnerin – das Holland-Typing- Office, ein Schreib-, Druck- und Versandbüro in Amsterdam mit über 40 Angestellten. Ab 1923 war sie Mitglied der internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit und einige Jahre Sekretärin dieser Organisation in den Niederlanden und 1937 auf dem Kongress in Genf Delegierte. Selma war pazifistisch-sozialistisch eingestellt, und von 1930 bis 1936 Mitglied der niederländischen SPD. Selma Meyer unterstützte ab 1937 die Arbeit von Ebeling und Hespers mehr und mehr. In ihrem Schreib-Druck- und Versandbüro wurden die Ausgaben der Kameradschaft druckfertig gemacht, vervielfältigt und verschickt. Ohne diese Arbeit und Selmas finanzieller Unterstützung wäre die Herausgabe der Kameradschaft in dieser Form nicht möglich gewesen. Außerdem richtete sie für Ebeling un ihrem Bürohaus ein Arbeitszimmer ein, sorgte bei den regelmäßigen fast wöchentlichen Besuchen von Theo für dessen Unterkunft. Ihr Bürohaus entwickelte sich schnell zum wichtigen Treffpunkt der deutschen Jugendfront. Sie war bei allen wichtigen Treffen zwischen Hespers und Ebeling die Dritte im Bunde. 1938 machte Piet Brinynen, der Vorsitzende des niederländischen Jugendpressekomitees, Theo mit Dr. Marcus van Blankenstein bekannt. Marcus van Blankenstein wurde 1880 in Ouderkerk in Holland geboren. Er war Niederländer und Jude. Nach dem Abitur studierte er in Leiden Niederländisch. 1906 machte er seinen Doktor, danach studierte er weiter Philologie, heiratete sein Frau Nelli, zog mit ihr nach Kopenhagen, wo er 1911 seine Dissertation in Deutsch mit summa cum laude abschloss. Während dieser Zeit verbesserte er seine Finanzlage mit Artikeln für die niederländische Zeitung NRC und wurde dabei Vollzeitjournalist. 1909 schickte ihn die NRC als ihren Auslandskorrespondenten nach Berlin. Schnell erwarb er sich Kontakte zu wichtigen Politikern und Regierungsmitgliedern. So kam es, dass 1917 die österreichischen Diplomaten in Stockholm Marcus van Blankenstein baten, einen Sonderfrieden mit der neuen russischen Regierung auszuhandeln. Ab 1920 war er für seine Zeitung Reiseredakteur in Osteuropa, Russland, China, Niederländisch Indien und Afrika. Beim Völkerbund in Genf war Blankenstein Vorsitzender der Vereinigung der Völkerbundjournalisten. Auf Ersuchen des Chefs des niederländischen Nachrichtendienstes wurde er Kontaktperson zwischen dem niederländischen und britischen Nachrichtendienstes. Marcus empfand gegenüber dem Nationalsozialismus geradezu Abscheu. So war er auch sofort bereit, Hespers und Ebeling bei ihrer Arbeit mit seinen Kontakten und Möglichkeiten zu helfen. Andererseits brachte er beide auch in Verbindung zu britischen, niederländischen und tschechischen Geheimdienstleuten. Nach Lage der Gestapo-Akten soll Ebelings Aufgabe für den britischen Nachrichtendienst die Auflistung aller Emigranten und dann deren Einsatz für Spionagezwecke gewesen sein. Hespers sollte gemeinsam mit Max Behretz alles über militärische Anlagen und Truppen im linksrheinischen Raum erkunden. Am 10.Mai 1940 mit dem Überfall Hitlers auf die neutralen Niederlande war alles zu Ende. Es begann die Zeit der Flucht und des Untergrundes. Dr. Hans Ebeling war schon 1939 nach London gegangen und damit in Sicherheit. Er kehrte nach dem Krieg nach Deutschland zurück und wohnte zuletzt in Mönchengladbach auf der Eickener Straße bis zu seinem Tode. Der Jude Alfred Katzenstein war wie eben von mir berichtet in den USA. Dr. Marcus van Blankenstein gelang es in letzter Minute und auch seiner Familie in den Wirren ein englisches Schiff zu erreichen und nach England zu kommen. Selma Cato Meyer war im März 1940 für sechs Wochen erkrankt und fuhr am 9. Mai 1940 zur Erholung nach Zeeland. Dort wurde sie einen Tag später vom Krieg überrascht. Sie kam mit dem Flüchtlingsstrom zunächst nach Paris, anschließend nach Toulouse. Anfang Oktober kehrte sie, weil ihre Mutter sehr krank war, nach Amsterdam zurück. Am 26. November wurde sie verhaftet, zuerst in Amsterdam verhört, dann nach Berlin in Gefängnis gebracht. Dort wurde sie weiter verhört und gefoltert. Am 16. Januar wurde sie wegen schwerster Unterleibsschmerzen ins Jüdische Krankenhaus in der Iranischen Straße überführt. Dort wurde sie operiert, am 11. Februar verstarb sie an den Folgen. Eine Mitgefangene, die ebenfalls nachts auf dem Bett liegend mit Schlägen gefoltert worden ist – und zwar auf dem Rücken, was sie als Krüppel überlebt hat, hat nach dem Krieg Antonia Verhagen berichtet, dass man Selma, die auf dem Rücken schlief, mit Stockschlägen auf den Bauch gefoltert hat. Selma Cato Meyer ist auf dem jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee beerdigt worden. Theo Hespers, seine Frau Käthe und sein neunjähriger Sohn Dietrich sowie Max Behretz und sein Frau Rosel sind gemeinsam von Eindhoven in Richtung holländische Küste geflohen, zunächst nach Rotterdam, um von den Engländern – wie versprochen – nach England gebracht zu werden. Aber der Weg nach Rotterdam war versperrt, weil die deutsche Luftwaffe am 14. Mai Rotterdam vollständig zerstört hatte. So wendeten sie sich nach Den Haag. Dort angekommen vernahmen sie als erstes die Kapitulation durch die Königin. So flüchteten sie weiter über die Inseln Zeelands längs der Küste über Knokke, Ostende nach Dünklirchen. Aber der dortige englische Hafenkommandant war zwar bereit Theo und Max, also die Männer, aber keine Frauen und Kinder mitzunehmen. Daraufhin entschieden beide Männer, bei ihren Familien zu bleiben. Sie flüchteten zurück in den Untergrund. Max und Rosel zurück nach Eindhoven, Famile Hespers zunächst nach Antwerpen. Rosel Behretz gelang es mit Hilfe einer jüdischen Geheimorganisation über die Schweiz nach Israel zu kommen. Max Behretz fühlte sich in Eindhoven sicher, aber er hatte sich geirrt. Die Gestapo fand ihm, brachte ihn nach Berlin, verhörte ihn und ermordete ihn am 24. September 1942. Über den Verbleib seiner sterblichen Überreste ist uns bisher nichts bekannt. Theo floh mit seiner Familie nach vier Wochen von Antwerpen nach Brüssel: im Untergrund ohne Arbeit, ohne Mittel und in Angst. Im Herbst 1940 brachte Theo seinen Sohn in ein flämisch-nationalistisches Jugendheim in Halle in der Nähe von Antwerpen unter. Ab Mai 1941 fanden Theo als Hausmeister und Käthe in der Küche dieses Heims Unterkunft und Anstellung. Am 10. Februar 1942 wollte Theo im Rathaus von Antwerpen neue Lebensmittelkarten abholen. Dabei wurde er von der Gestapo entdeckt, verhaftet und ins Marinegefängnis von Antwerpen gebracht. Käthe Hespers wurde ebenfalls verhaftet und ins Frauengefängnis nach Vechta gesteckt. Dietrich Hespers wurde zu seiner Großmutter Kelz auf die Brunnenstraße in Mönchengladbach gebracht. Am 14. November 1942 wurde Käthe entlassen, da sie der Gestapo bei den Verhören glaubhaft machen konnte, dass sie von den Aktivitäten ihres Mannes nicht gewusst hatte. Theo wurde von Antwerpen ins Marinegefängnis Wilhelmshaven überführt, dort wurde er bis zum 28. Mai 1942 immer wieder verhört und psychisch, nicht körperlich gefoltert. Im Juni kam Theo ins Untersuchungsgefängnis nach Moabit und wieder begannen die Verhöre. Am 1. Mai 1943 machte die Gestapo ihren Schlussbericht. Am 1. Mai 1943 begann Theos Prozess vor dem 5. Senat des nationalsozialistischen Sondergerichtes in Berlin. Am 22. Juli 1943 sprach der Volksgerichtshof das Urteil: Tod durch Erhängen. Am 9. September 1943 wurde Theo Hespers in Berlin-Plötzensee erhängt. Seiner Schwester Berta, die nach Berlin gereist war, um ihren Bruder im Gefängnis zu besuchen, wurde mitgeteilt, dass es zu spät sei. Des Weiteren: Seine Leiche sei verbrannt und die Asche verstreut worden, um keinen Märtyrer zu schaffen. Theo Hespers hat von 1933 bis 1940 über sieben Jahre Widerstand gegen die Nazis in neun Widerstandskreisen mit über 100 Mitstreitern geleistet; dabei waren seine jüdischen Mitstreiter von großer Bedeutung. Natürlich hätte er auch ohne sie Widerstand gegen die Nazis organisiert, aber dieser wäre weniger umfangreich und weniger durchschlagend gewesen. 

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