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Hans Ebeling und die weimarer Republik

Die Jugendbewegung, die Weimarer Republik und der Nationalsozialismus: Das ist ein zumindest vielschichtiges, manchmal auch widersprüchliches Verhältnis. Beispiel: die sogenannte „Deutsche Jugendfront“. Dieser Widerstandskreis um Hans Ebeling, Theo Hespers, Walter Schuckmann und ihre niederländischen Freunde rekrutierte sich personell zum Großteil aus der Jugendbewegung, allerdings aus ganz unterschiedlichen Bünden. Und ein Teil dieser Bündischen stand von seinen Ideen und politischen Auffassungen her den Nationalsozialisten gar nicht so fern. Trotzdem gingen auch die nationalistischsten von ihnen aus Überzeugung und vor allem sehr früh in den Widerstand. Deshalb hat der „Jugendfront“-Widerstand Wurzeln, die weit in die Zeit der Weimarer Republik zurückreichen. Ohne den Ruhrwiderstand ab 1923, ohne die Tagungen des „Weltbundes der Jugend für den Frieden“ 1927 und 28, ohne das besondere Milieu der rheinischen Jugendbewegung, aus dem die Emigranten entstammten, ist dieser Widerstandskreis nicht zu verstehen und nicht einzuordnen. Die Ambivalenz spiegelt sich in zwei Schlaglichtern: 1. Es ist das Jahr 1923. Der Vorsitzende einer kleinen, radikalen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr erfolgreichen Partei, Adolf Hitler, erhält Besuch von Teilen der Bundesleitung des Jungnationalen Bundes. Der Bund ist nach dem Tod seines vergötterten geistigen Ziehvaters Admiral von Scheer auf der Suche nach einem geeigneten Mann, der diese Lücke ausfüllen kann. Neben Weltkriegsgeneral Erich von Ludendorff steht Hitler ganz oben auf der Wunschliste des kleinen, nationalistischen und sehr aktiven Bundes. Vorsitzende des Bundes sind in diesem Jahr nacheinander Heinz Dähnhardt und Hans Ebeling. 1)   2. Szenenwechsel: Es ist das Jahr 1933. Die Partei Adolf Hitlers hat die Macht übernommen. Hitler selbst ist Reichskanzler. Unliebsame Gegner bekommen bereits in den ersten Wochen nach der Machtergreifung der NSDAP die harte Gangart der neuen Regierung zu spüren: Verhaftungen und Hausdurchsuchungen sind probate Mittel dieser Machthaber. Erste Emigranten verlassen Deutschland. Zu den frühesten und bestgehaßten Gegnern der Nazis gehört auch Hans Ebeling; der gleiche Hans Ebeling, dessen Bund 1923 beim gleichen Adolf Hitler angeklopft hatte. Diese Entwicklung der Dinge ist erklärungsbedürftig. Der erste Ansatzpunkt ist sicherlich der Verlauf des Gespräches, das die Bundesleitung des Jungnationalen Bundes 1923 mit Adolf Hitler hatte. Der Jungnationale Heinz Rocholl hat seine Erinnerungen an dieses Treffen 50 Jahre später schriftlich festgehalten. Den Eindruck, den die beteiligten Mitglieder der Bundesleitung unisono hatten, beschreibt er als „niederschmetternd“.2) Wörtlich schreibt Rocholl: „An Stelle von Hitler nahm während unseres Besuches der spätere Wirtschaftsbeauftragte der NSDAP, Gottfried Feder, fast eine Stunde lang das Wort und versuchte, uns für seine Theorie der ,Brechung der Zinsknechtschaft‘ einzufangen. Wir, Mitglieder der ersten Bundesleitung, die wir den Sieger der Skagerragschlacht, einen Admiral S c h e e r   buchstäblich vergöttert hatten, waren einfach  s a u e r, als wir erkannten, dass (– so wenig wie Erich Ludendorff –) Adolf Hitler niemals als unser Bundesprotektor in Frage kommen würde. Er machte damals (…) den Eindruck eines ganz kleinen, bescheidenen Agitators, nicht den eines Führers, dem das deutsche Volk ein Jahrzehnt später ewige Treue schwor.“ 3) Er führt dann weiter aus, daß die von Hans Ebeling geleiteten westdeutschen Gruppen nach 1933 geschlossen in die Emigration gingen und, so wörtlich, „von England aus eine energische und mit zahlreichen Blutopfern besiegelte Opposition gegen den Nationalsozialismus geführt haben. Daß einzelne Jungnationale in ihrem Haß gegen den NS nicht vor dem politischen und leider auch militärischem Landesverrat zurückschreckten, gehört zur Tragik der deutschen Volksgeschichte der letzten vier Jahrzehnte.“ 4) Ebelings Guppen war der politische und militärische Verrat nicht erst in den 30er und 40er Jahren vertraut: Im Ruhrkampf seit Januar 1923 hatten sie sich im westfälischen Münster aktiven Widerstandskreisen gegen die französischen und belgischen Besatzer angeschlossen. 5) Mit diesem aktiven Widerstand machten sich die rein männlichen Jungnationalen nicht nur Freunde, eher im Gegenteil: Hans Ebeling wurde von einem Kriegsgericht der Besatzer in Abwesenheit zum Tode verurteilt. 6) Und auch in der deutschen Öffentlichkeit war der bewaffnete Widerstand einiger Freikorps und Bünde nicht gut gelitten, wie Lageberichte der Reichsregierung zeigen. 7) Sie, die den Protest bis hin zur Sabotage trieben, stellten sich außerhalb der Phalanx des friedlichen, passiven Widerstandes gegen die französischen und belgischen Besatzer. Die ungeliebte Republik erlebte während der Ruhrbesetzung ihre erste und letzte Phase einer gewissen Beliebtheit. Gegner, die sich vorher und später zum Teil erbittert bekämpften, verständigten sich auf diese einheitliche und damit starke Form des Protestes. Der äußere Feind, so muß das Fazit für den Durchschnitt der Bevölkerung lauten, schweißte irgendwie zusammen. Die radikalen, kleinen Grüppchen stellten sich mit ihrem bewaffneten Widerstand freiwillig außerhalb dieser Burgfriedensmentalität. Doch das Verhalten der westdeutschen Jungnationalen war auf dem Hintergrund ihrer Geschichte, ihrer Ideen und Vorstellungen nur begrenzt verwunderlich. Von Anfang an hatten sie die Weimarer Republik vehement abgelehnt. Deshalb erreichte der Appell der führenden Politiker dieses Staates zum geschlossenen passiven Widerstand sie nicht. Doch woher rührte diese fundamentale Ablehnung der Weimarer Republik eigentlich? Wie viele andere national Gesinnte hatte Hans Ebeling als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Und wie viele andere Nationalisten empfand er den Versailler Vertrag als Schmach und die, die ihn unterschreiben mußten, als Verräter. 8) Seine Biographie in der ersten Phase der Weimarer Republik liest sich denn auch auf den ersten Blick ganz ähnlich wie die Geschichte anderer Nationalisten dieser Zeit. Zum Beispiel bekämpfte Ebeling 1920 als Offizier der Reichsbrigade 62 die linksradikalen Unruhen im Ruhrgebiet und im Bergischen Land. 9) Die Ablehnung der liberal-demokratischen, parlamentarischen Verfassung der Weimarer Republik gehörte in diesen Kreisen zum guten Ton. Es kann also als sicher gelten, daß Hans Ebeling ein typischer Vertreter des nationalen Lagers in den beginnenden 20er Jahren war – einerseits! Andererseits sind individuelle Ansätze erkennbar, die in eine ganz andere Richtung weisen. Politisch interessiert, wie er war, lehnte Hans Ebeling die Weimarer Parteien ab. 10) Er setzte auf die Jugend als verändernde Kraft. Und das war ein Ansatz, der ihn von den meisten Nationalisten grundlegend unterschied. Eine Einschränkung muß allerdings gemacht werden: So vehement, wie Ebeling seine Ablehnung dieses Parteiensystems im Nachhinein gerne selbst darstellte, war sie nicht. Denn der Jungnationale Bund war sich nicht zu schade dafür, Geld von der Deutschen Volks-Partei DVP anzunehmen. Im Parteienspektrum der frühen Weimarer Republik ist die Partei des liberalen Politikers Gustav Stresemann zwischen der linksliberalen DDP und der nationalliberalen bis nationalistischen DNVP anzusiedeln. In den gut 13 Jahren der Weimarer Republik war die DVP stets eine verfassungstreue und demokratische Kraft. Über den eingangs erwähnten Admiral Scheer kam der Jungnationale Bund mit Kathinka von Oheimb in Kontakt. Die Bergwerksbesitzerin war ein einflußreiches DVP-Mitglied und besorgte den Jungnationalen nach Angaben von Heinz Rocholl die damals gesuchten, harten ausländischen Devisen. 11) Trotz dieser finanziellen Unterstützung durch die DVP kann von einer grundsätzlichen Ablehnung der Parteien durch den Jungnationalen Bund gesprochen werden. Schließlich war auch die bündische Jugend noch dem Gedankengut des Wandervogels verpflichtet, der sich in erster Linie als Aufbegehren der Jugend gegen das etablierte Gesellschaftssystem verstand. Die herrschende Überzeugung in der Jugendbewegung vor und nach dem Ersten Weltkrieg war, Jugendliche vor der Vereinnahmung durch Eltern, Erzieher und Politiker zu schützen, indem ihnen in den Bünden ein eigenes Betätigungsfeld geboten wurde. Man darf es also getrost zu Ebelings Grundüberzeugungen zählen, den deutschen Parteien die Lösung der damaligen Krise nicht zuzutrauen. 1919 gründete er eine Jugendgruppe, die er dem Deutsch-Nationalen Jugendbund, kurz DNJ, angliederte. Der DNJ war der Sammelbund für die nationalbewußte Jugend schlechthin. 12) Er verstand sich unter anderem als Vorbereitung der männlichen Jugend im noch nicht wehrfähigen Alter auf das Militär. 13) Doch der rückwärtsgewandte Nationalismus in diesem Jugendbund stieß den aus großbürgerlichem Hause stammenden Hans Ebeling ab. Im Weltkrieg hatte sich unter den Frontsoldaten und Kriegswandervögeln ein neues Nationalbewußtsein gebildet, dem auch er anhing. Dieser Nationalismus hatte nichts Monarchistisches mehr an sich, wie er beispielsweise in der Deutsch-Nationalen Volkspartei anzutreffen war. Er wollte Stände und Schichten überwinden und eine klassenlose Gesellschaft schaffen.(vgl. Stefan Breuer, Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1993, S. 186-190) Dabei bejahte speziell Ebeling auch den Klassenkampf. Dieser im besten Sinne sozialistische Nationalismus wird in der Forschung zu Recht als denkwürdige und ernsthafte Form eines bürgerlichen Sozialismus bewertet. 14) Der neue Nationalismus Ebelings und anderer Bündischer hatte durchaus eine revolutionäre Komponente. Er schuf sich ein neues Symbol, das zunächst im Landesverband Hamburg des DNJ und später im Jungnationalen Bund verwendet wurde. Der Greif des Wandervogels auf dem Wimpel wurde von der Wolfsangel als Zeichen eines neuen, kämpferischen Willens abgelöst. 15) Der neue Nationalismus war im rückwärts gewandten DNJ fehl am Platze. Das merkte auch Ebeling schnell. Und so war es nur folgerichtig, daß sich die jungnationale Opposition im DNJ unter seinem Einfluß 1921 vom DNJ abspaltete und als eigener Bund konstituierte. 16) Die jungnationale Lehre besaß Ausstrahlungskraft weit über den zahlenmäßig eher kleinen Bund hinaus. 17) Kennzeichnend für den Bund waren vor allem drei Dinge: 1. eine betont unromantische Einstellung zu aktuellen Problemen 2. eine sozial gemischte Zusammensetzung, die die jungnationale Bewegung von der ansonsten im Bürgertum verwurzelten Jugendbewegung abhob und 3. die sogenannte „Staatsidee“. 18) Die „Staatsidee“ bedeutete zum einen den Willen zum Primat des Staates über Wirtschaft und Parteien. 19) Die Jungnationalen strebten eine autoritäre Demokratie nach dem Vorbild der inneren Struktur ihres Bundes an. Die war vor allem von einer starken Bindung des Führers an den Gruppenwillen gekennzeichnet: Die Willensbildung erfolgte basisdemokratisch, aber jede Gruppe hatte dennoch ihren Führer. Die Gruppenmitglieder schuldeten ihm zwar Zucht und Gehorsam, aber keinesfalls Kadavergehorsam. (vgl. Wilfried Breyvogel, Resistenz, Widersinn und Opposition. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus – Einleitung, in: ders. (Hg.), Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus, Bonn 1991, S.80, Matthias von Hellfeld, Bündische Jugend und Hitlerjugend. Zur Geschichte von Anpassung und Widerstand 1930-1939, Köln 1987, S.33/34 und S 57, und Felix Raabe, Die bündische Jugend. Ein Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik, Stuttgart 1961, S.102) Diese Gruppenführer waren in der gesamten Jugendbewegung oft charismatische, starke Persönlichkeiten. Konflikte zwischen solchen Persönlichkeiten blieben da nicht aus. Ein solcher Konflikt spielte sich auch im Jungnationalen Bund ab, und zwar zwischen dem Hamburger Heinz Dähnhardt und dem Rheinländer Hans Ebeling. In den Quellen ist sogar die Rede von „Diadochenkämpfen“ zwischen diesen beiden gegensätzlichen Persönlichkeiten. 20) Ebeling genoß im Bund den zweifelhaften Ruf eines „ewigen Revolutionärs“. In einer Festschrift zum 60. Geburtstag Dähnhardts lange nach dem Zweiten Weltkrieg 21) erinnern sich manche von seinen Anhängern noch mit Grausen an Ebeling und seine Gefolgsleute. Unter dem Eindruck der Ruhrbesetzung entwickelten sich die Ebelingschen Gruppen im besetzten Gebiet und einige sympathisierende Gruppen in anderen Teilen des Reiches vollkommen anders als der Rest des Bundes. Hans Ebeling war in dieser Zeit der Auseinandersetzung Bundesvorsitzender, stürzte aber über die Zwistigkeiten. Der Streit kulminierte in der Frage der Koedukation, die bislang unangefochten galt. Ebeling wollte dagegen eine wehrfähige Mannschaft, mit der sich bewaffneter Widerstand machen ließ. 1924 spaltete sich der Bund. Hans Ebeling gründete mit den Gruppen der Westmark den „Jungnationalen Bund – deutsche Jungenschaft“. 22) An dieser Stelle ist ein kurzer Exkurs über Hans Ebelings Einstellung zur Gewalt angebracht. Sie ist ein Beispiel dafür, wie bestimmte Grundeinstellungen bei ihm durch einschneidende Ereignisse verändert werden, aber jahrelang quasi schlummern oder brach liegen. Ebeling war später – zumindest was seine schriftlichen Stellungnahmen anbetrifft – ein ausgesprochener Kriegsgegner. Mehrere von ihm verfaßte Artikel in der von ihm herausgegebenen Widerstandszeitschrift „Kameradschaft“ aus den 30er Jahren beweisen das. Das eigentlich traumatische Erlebnis, das ihn zum Kriegsgegner werden ließ, war der Erste Weltkrieg. 23) Trotzdem kämpfte er 1920 in der Reichsbrigade, trotzdem leistete er gegen die Ruhrbesetzung bewaffneten Widerstand, trotzdem machte er seinen Jungenbund zur militärischen Nachwuchsorganisation. Dieses widersprüchliche Verhalten ist eine krasse Form davon, was wohl jeder Mensch schon einmal erlebt haben: das Gefühl im Nachhinein, gegen die eigene Überzeugung gehandelt zu haben, ohne sich dessen recht bewußt zu sein. Zurück zur Chronologie: Ebeling wurde Bundesleiter des „Jungnationalen Bundes – deutsche Jungenschaft“. Er studierte in dieser Zeit Nationalökonomie zunächst in Münster, später in Gießen. An der hessischen Universität lernte er Professor Friedrich Lenz kennen, bei dem er 1929 promovierte. Lenz wurde zum geistigen Ziehvater Ebelings und seiner jungnationalen Gruppen. Er nahm mit Ebeling und dessen Jungnationalen an den Tagungen des „Weltbundes der Jugend für den Frieden“ 1927 auf der siegerländischen Freusburg und 1928 im niederländischen Eerde bei Ommen teil. 24) Die beiden Tagungen waren für die Entwicklung Ebelings, der mittlerweile in sein viertes Lebensjahrzehnt ging, wichtige Meilensteine in seiner persönlichen Entwicklung.. Einerseits war Ebeling immer noch vom leidenschaftlichen Nationalgefühl seiner Jugendzeit bestimmt. Andererseits öffnete er sich nun, zwei Jahre nach Ende der Ruhrbesetzung, stärker internationalen Themen und Gedanken. Dafür spricht die Gründung einer „Pfadfinderschaft Westmark“, die eng mit dem „Jungnationalen Bund – deutsche Jungenschaft“ zusammenarbeitete. 25) Dafür spricht auch die Teilnahme an den Weltjugendtagungen auf der Freusburg und in Eerde, die die Integration der deutschen Jugend zum Ziel hatten. 26) In einer Rückschau von Nikolaus Ehlen in der überbündischen Zeitschrift „Der Zwiespruch“ von 1. September 1927 (Sämtliche zitierten Ausgaben des „Zwiespruch“ liegen in den Beständen des Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein)           verschweigt der Autor allerdings auch die Gegensätze, die die Tagung bestimmten, nicht. An zwei Stellen heißt es in Ehlens Artikel: „Ich nenne weiter das große Erlebnis am Feuer unter dem Sternenhimmel, hochoben über den Tälern der Umgebung. Die nationalen Kreise waren im Einverständnis mit der Leitung mit ihrer Fahne erschienen, es war die alte Kriegsflagge. Das brachte eine harte Probe. Es war  d i e  Probe der Tagung.“ Und im gleichen Artikel heißt es an anderer Stelle: „Die Gegensätze in den einzelnen Arbeitsgemeinschaften, besonders in derjenigen über Weltanschauung und Religion, waren nicht minder tief. Auch hier wurde nichts verkleistert um irgendeines ,praktischen‘ Erfolges willen. Man hatte den Mut, den tiefen Spalt, der uns trennt, als in der Sache unüberbrückbar zu bekennen. Hoffnungslos stand man hier voreinander. Und doch, man will immer wieder zusammenkommen, einander  h e l f e n  und  G u t e s  t u n.“ Leider läßt sich nicht feststellen, inwiefern Ebeling und seine Anhänger an der provokanten Fahnenaktion teilnahmen. Die Möglichkeit einer Teilnahme ihrerseits ist in der Tat gegeben: Ein Jahr später auf der Tagung in Eerde sollten sie für einen regelrechten Eklat sorgen, und das sorgfältig geplant und vorbereitet. Das kann nicht weiter verwundern, denn zufrieden konnten Ebeling, Lenz und die Jungnationalen mit dem Verlauf der Tagung im Siegerland nicht sein. Tatmenschen, die sie waren, dürften sie der guten Atmosphäre, die Ehlen dem Treffen von 1927 bescheinigt, nicht so viel abgewonnen haben wie der „Zwiespruch“-Autor. Und so reisten sie zu der Tagung ein Jahr später mit einer von Professor Friedrich Lenz vorbereiteten anti-imperialistischen Erklärung im Gepäck, die sie gleich zu Beginn der Tagung verlasen, um anschließend demonstrativ wieder abzureisen. Die in der Grenzlandzeitschrift „Das Junge Volk“ veröffentlichte Erklärung sorgte für einiges Aufsehen; heutige Forscher sind sich allerdings mit den Zeitgenossen einig, daß die Erklärung völlig verfrüht und damit fehlplaziert abgegeben wurde. 27) Karl Otto Paetel etwa, der dem in der Erklärung vertretenen Gedankengut inhaltlich durchaus nahestand, bewertete die Resolution in den 60er Jahren so: „Die Dramatik, mit der die […] Gruppen aus der ausdrücklich vorher vereinbarten Gemeinsamkeit der Bündischen und ihnen nahestehenden Delegierten ausbrachen und völlig unmotiviert anläßlich einer Geschäftsordnungsdebatte mit einer bis dahin vor allen Mitdelegierten geheimgehaltenen Resolution ein geschlossenes Auftreten der deutschen ,Bündischen‘ verhinderten, hinterließ tiefes Ressentiment. Hätte man, vielleicht etwas abgetönt, die Erklärung zum Schluß der Tagung abgegeben, würde sie möglicherweise […] als gesamtdeutsche Delegationsplattform weittragende Bedeutung gehabt haben. Die Ungeduld eines ;Vortrupps‘ verhinderte es.“ 28) Doch mal abgesehen vom falschen Zeitpunkt zeigt die Erklärung ein erstaunliches geistiges Niveau. Sie gilt zu Recht als erstes nationalrevolutionäres Dokument vor der Weltwirtschaftskrise. 29) Für Ebeling, Lenz und ihre Gefolgsleute waren die Weichen für ihre weitere persönliche und politische Entwicklung damit gestellt: Sie gehörten zu jener Gruppe rechtsgerichteter Intellektueller, die sich fortan nationalrevolutionär entwickelten. Was meint dieser Begriff „nationalrevolutionär“ eigentlich? Es war der Brückenschlag zwischen rechts und links, zwischen Nationalismus und Kommunismus, der die Vorzüge von beidem zu verbinden und ihre negativen Züge auszuschalten sucht. Dieses Gedankenmodell war ein Faszinosum, das viele intelligente und unangepaßte Menschen in seinen Bann zog. Die nationalrevolutionäre Theorie erhielt nie eine Chance, sich zu beweisen – aber die Frage ist nicht nur erlaubt, sondern sogar angebracht, ob das nicht vielleicht sogar besser so war. Denn die nationalrevolutionär Weltsicht war ebenso faszinierend wie in sich widersprüchlich. Letztendlich diente sie doch eher als Fluchtpunkt für einige idealistische Phantasten, die sonst nirgendwo eine politische Heimat fanden. 30) Gegen Ende der Weimarer Republik erschienen mehrere nationalrevolutionäre Zeitschriften. Eine der wichtigsten darunter war „Der Vorkämpfer gegen politische und wirtschaftliche Unterdrückung“. 31) Herausgeber des „Vorkämpfers“, der ab Ende 1929 erschien, war Hans Ebeling. Während die westlichen Staaten in dieser Zeitschrift als die „Sklavenhalter Deutschlands“ 32) verurteilt werden, wird dem bolschewistischen Rußland eine beinahe slawophile Sympathie entgegen gebracht. Der Sowjetunion wird vor allem hoch angerechnet, daß sie als einzige internationale Großmacht nicht am Versailler Vertrag beteiligt gewesen war. 33) Die Lage anderer angeblich unterdrückter Nationen wird ausführlich dargestellt. 34) Innenpolitisch ist der „Vorkämpfer“ vor allem anti-nationalsozialistisch 35) und anti-kapitalistisch 36) ausgerichtet. Spätestens mit Erscheinen des „Vorkämpfers“ mußte jedem politischem Beobachter klar sein, daß die ehemals in Richtung Nationalsozialismus tendierenden Jungnationalen sich endgültig von Hitlers Bewegung gelöst hatten. Sie bildeten einen eigenen Identifikationspol unabhängig von den etablierten Parteien und von der NSDAP. Somit waren die Nationalrevolutionären irgendwo ein verlorener Haufen oder auch politisch Heimatlose. 37) Und aus den politisch Heimatlosen wurden 1933 sehr schnell Heimatlose in einem ganz handfesten, bitteren Wortsinn. Wer nicht sofort freiwillig das Land verließ, riskierte Verfolgung, Repressionen und Verhaftung. Hans Ebeling beispielsweise wurde bereits im März 1933 verhaftet, kam aber wieder frei. Doch er mußte untertauchen und emigrierte schließlich im August 1934 in die Niederlande, wo er seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus fortsetzte. 38)   Fußnoten 1) vgl. Nachlaß Rautenberg / Erste Bundesleitung des Jungnationalen Bundes mit Admiral Scheer, in: Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 2) vgl. Nachlaß Rautenberg / Erste Bundesleitung des Jungnationalen Bundes mit Admiral Scheer, in: Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 3) vgl. Nachlaß Rautenberg / Erste Bundesleitung des Jungnationalen Bundes mit Admiral Scheer, in: Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 4) vgl. Nachlaß Rautenberg / Erste Bundesleitung des Jungnationalen Bundes mit Admiral Scheer, in: Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 5) vgl. Nachlaß Rautenberg / Jungnationaler Bund. Fassung IV 6.9.73, Autor unbekannt, Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 6) vgl. Dirk Hespers, Dr. Hans Ebeling, genannt Plato. Eine Biographie (mit Quellenangabe), in: ders. (Hg.), Reaktionäre, Rebellen, Revolutionäre. Jugendbewegung – Bündische Jugend, Mönchengladbach 1988, S.16 7) vgl. die einschlägigen Berichte in den Beständen R 15.07 und R 16.01 im Bundesarchiv 8) vgl. Felix Raabe, Die bündische Jugend. Ein Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik, Stuttgart 1961, S.104, und Klemens von Klemperer, Konservative Bewegungen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München – Wien 1957, S.99/100 9) vgl. Hans Ebelings selbstverfaßten Lebenslauf für seinen Wiedergutmachungsantrag vom 15.12.1965, S.1, vorhanden im Archiv der Theo-Hespers-Stiftung 10) Das geht zum Beispiel aus der „Jungnationalen Erklärung von Ommen“ hervor, die Ebeling zusammen mit Werner Laß von der Freischar Schill bei dem Weltjugendtreffen 1928 im niederländischen Eerden bei Ommen abgab. Erklärung abgedruckt bei: Karl Otto Paetel, Versuchung oder Chance? Zur Geschichte des deutschen Nationalbolschewismus, Göttingen – Berlin – Frankfurt/Main – Zürich 1965, S. 140-142 11) vgl. Nachlaß Rautenberg / Erste Bundesleitung des Jungnationalen Bundes mit Admiral Scheer, in: Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 12) vgl. Günther Ehrenthal, Die freie Jugendbewegung bis 1928, in: Karl Seidelmann (Hg.), Die deutsche Jugendbewegung, Bad Heilbrunn 1966 S.9 13) vgl. Nachlaß Rautenberg / Deutsch-Nationaler Jugendbund/Großdeutscher Jugendbund (1918-1930), Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 14) vgl. Felix Raabe, Die bündische Jugend. Ein Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik, Stuttgart 1961, S.140, und Klemens von Klemperer, Konservative Bewegungen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München – Wien 1957, S. 54 15) vgl. Nachlaß Rautenberg / Jungnationaler Bund. Fassung IV 6.9.73, Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 16) vgl. Dirk Hespers, Dr. Hans Ebeling, genannt Plato. Eine Biographie (mit Quellenangabe), in: ders. (Hg.), Reaktionäre, Rebellen, Revolutionäre. Jugendbewegung – Bündische Jugend, Mönchengladbach 1988, S.18 17) vgl. Günther Ehrenthal, Die freie Jugendbewegung bis 1928, in: Karl Seidelmann (Hg.), Die deutsche Jugendbewegung, Bad Heilbrunn 1966 S.9 18) vgl. Günther Ehrenthal, Die freie Jugendbewegung bis 1928, in: Karl Seidelmann (Hg.), Die deutsche Jugendbewegung, Bad Heilbrunn 1966 S.9 19) Besonders deutlich wird das in der „Jungnationalen Erklärung von Ommen“, die Ebeling zusammen mit Werner Laß von der Freischar Schill bei dem Weltjugendtreffen 1928 im niederländischen Eerden bei Ommen abgab. Erklärung abgedruckt bei: Karl Otto Paetel, Versuchung oder Chance? Zur Geschichte des deutschen Nationalbolschewismus, Göttingen – Berlin – Frankfurt/Main – Zürich 1965, S. 140-142 20) Nachlaß Rautenberg / Jungnationaler Bund    Fassung IV  6.9.73 und Erste Bundesleitung des Jungnationalen Bundes mit Admiral Scheer, Archiv der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 21) ebenfalls in den Beständen des Archivs der deutschen Jugendbewegung Burg Ludwigstein 22) vgl. dazu Ebelings eigene Darstellung: Hans Ebeling, Die Jungnationalen, in: Dirk Hespers (Hg.), Reaktionäre – Rebellen – Revolutionäre. Jugendbewegung – Bündische Jugend, Mönchengladbach 1988 23) mündliche Information von Dirk Hespers 24) vgl. Dirk Hespers, Dr. Hans Ebeling, genannt Plato. Eine Biographie (mit Quellenangabe), in: ders. (Hg.), Reaktionäre, Rebellen, Revolutionäre. Jugendbewegung – Bündische Jugend, Mönchengladbach 1988, S.16, und Louis Dupeux, „Nationalbolschewismus“ 1919-1933: kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München 1985, S.356 25) vgl. Dirk Hespers, Dr. Hans Ebeling, genannt Plato. Eine Biographie (mit Quellenangabe), in: ders. (Hg.), Reaktionäre, Rebellen, Revolutionäre. Jugendbewegung – Bündische Jugend, Mönchengladbach 1988, S.19-21 26) vgl. Otto Ernst Schüddekopf, Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 1960, S.220/221 27) vgl. dazu zum Beispiel Otto Ernst Schüddekopf, Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 1960, S.357, und Louis Dupeux, „Nationalbolschewismus“ 1919-1933: kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München 1985, S.356 28) Karl Otto Paetel, Versuchung oder Chance? Zur Geschichte des deutschen Nationalbolschewismus, Göttingen – Berlin – Frankfurt/Main – Zürich 1965, S.143/144 29) vgl. Louis Dupeux, „Nationalbolschewismus“ 1919-1933: kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München 1985, S.356/357 30) Beispielhaft sei nur auf die einschlägigen Darstellungen von Louis Dupeux, Klemens von Klemperer und Schüddekopf in den bereits zitierten Werken verwiesen. 31) Der „Vorkämpfer gegen politische und wirtschaftliche Unterdrückung“ ist in den Beständen des Stadtarchivs Krefeld vorhanden. 32) so zum Beispiel im Maiheft 1931 33) so zum Beispiel im Juniheft 1930 34) beispielhaft in der bereits angeführten Ausgabe vom Mai 1931 35) vgl. zum Beispiel Louis Dupeux, „Nationalbolschewismus“ 1919-1933: kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München 1985, S.363 36) vgl. Louis Dupeux, „Nationalbolschewismus“ 1919-1933: kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München 1985, S.352, und Otto Ernst Schüddekopf, Linke Leute von rechts. Die nationalrevolutionären Minderheiten und der Kommunismus in der Weimarer Republik, Stuttgart 1960, S.218 37) vgl. zum Beispiel Karl Otto Paetel, Versuchung oder Chance? Zur Geschichte des deutschen Nationalbolschewismus, Göttingen – Berlin – Frankfurt/Main – Zürich 1965, S.33 38) FN: vgl. hierzu Ebelings selbstverfaßten Lebenslauf für den Wiedergutmachungsantrag vom 15.12.1965, S.33 

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