Widerstand im Westen: Die „Deutsche Jugendfront“ und ihre Kontakte – Erste Umrisse

Die bisherige Kenntnis zur Gruppe um Theodor Hespers und Dr. Hans Ebeling ist sehr intensiv durch den überlebenden Hans Ebeling geprägt worden. Die in diesem Jahr von Elisabeth Blankenstein gefundenen Akten, die die Ermittlungsergebnisse gegen Dr. Walter Schuckmann, Theodor Hespers und Max Behretz enthalten, machen viele unklare Sachverhalte allmählich durchsichtiger. In einem ersten Schritt möchte ich die sich abzeichnenden Ergebnisse dieser Aktenbefunde vortragen. Sie ergeben noch kein vollständiges, aber doch ein bereits erweitertes Bild der Gruppe. Es geht also um die Kontakte und das Netz von Personen, mit denen Theodor Hespers, Dr. Hans Ebeling und Dr. Walter Schuckmann Kontakt hatten. Der zuletzt Genannte ist z.B. in der Nachkriegszeit von Dr. Hans Ebeling verschwiegen worden. Warum er ihn verschwieg, können wir bisher nur ahnen.

In der Darstellung gehe ich chronologisch vor und schildere jeweils knapp die wichtigsten Sachverhalte zu den genannten Personen, ohne das gesamte Wissen um sie zu entfalten, weil das den Rahmen dieser Darstellung hier sprengen würde.

Wie wir wissen, ging der aktive Widerstand nach dem Januar 1933 besonders von den Gruppen aus, die direkt im Februar 1933 verboten oder verfolgt wurden. Das waren in der Mehrzahl Kommunisten, Sozialisten und besonders jüdische Mitglieder dieser beiden Parteien. Die erste Gruppe, mit der Theo Hespers in Melik bei Roermond Kontakt hatte, waren Mitglieder aus diesem Parteienspektrum. Dazu zählten: Otto Engels, Johannes von Dahlen, Peter Kamphausen, Gottfried Zitzen, Ernst Eggerath, Hans Brings und Käthe Scheufeldt. Sie waren „wegen kommunistischer Betätigung angeklagt“ und erhielten bis zu zehn Jahre Zuchthausstrafen. Sie waren alle in vergleichbarem Alter wie der 1903 geborene Theodor Hespers, lediglich Johannes von Dahlen war 1912 und Hans Brings 1914 geboren.

Wenn ich die Aktivitäten, die Theo Hespers in dieser Zeit entwickelte, zusammenfasse, dann hat in dieser Phase über seine Wohnung als Umschlagsplatz ein regelmäßiger Kontakt nach Deutschland stattgefunden, der dazu führte, daß sozialistische und kommunistische Schriften und Flugblätter mit Hilfe der genannten Personen nach Deutschland gebracht werden konnten. Allerdings sind aus dieser frühen Phase noch drei Personen besonders zu erwähnen, die aufgrund der Emigration von der Strafverfolgung in dieser frühen Phase nicht erfaßt werden konnten, weil sie sich regelmäßig nicht mehr in Deutschland aufhielten.

Da ist zunächst der spätere Dr. Alfred K a t z e n s t e i n , geb. am 16. Mai 1915. Er war der jüngste der Gruppe um Theodor Hespers, bis 1933 Primaner in Mönchengladbach, jüdischer Herkunft und seit Frühjahr 1933 im KJVD organisiert. Er hatte Kontakte nach Paris, brachte von dort Schriften mit und vermittelte sie über Theo Hespers in das Reich. Er ging später in den spanischen Bürgerkrieg und war in Gurs am Ende der 30er Jahre interniert. Wie wir aus einer Arbeit von Dirk Hespers wissen, überlebte Dr. Alfred Katzenstein die Internierung, konnte in die USA emigrieren und lebt bis heute in der früheren DDR. Neben ihm ist Gertrud S a n d e r zu nennen, Mitglied im jüdischen Jugendbund „Die Kameraden“. Wie Theo Hespers ausführte, diskutierte er mit beiden relativ viel politische Grundsatzfragen. Beide stammten aus Mönchengladbach. Der Vater von Gertrud S a n d e r war Textilfabrikant in Mönchengladbach. Als weitere Kontaktperson wurde J o h a n n Z a n d e r s, geb. am 20. Mai 1898, genannt, der auch wegen „kommunistischer Betätigung“ zu 10 Jahren Zuchthaus 1935 verurteilt worden war. Über ihre Kontakte zur Auslandsleitung der KPD in Paris und zur Grenzstelle in Amsterdam brachten sie größere Mengen kommunistischer Schriften das deutsche Reich, so die „Rote Fahne“, die „Internationale gewerkschaftliche Korrespondenz“, eine Schrift mit dem Titel „Der Revolutionär“ und die bisher unbekannten „Rundbriefe katholischer Antifaschisten“.

Aus dieser Phase stammte auch der Kontakt zu Max Behretz, den Theo Hespers bereits kurz nach der Emigration 1933 aufsuchte. Er war parteilos, stand der Sozialdemokratie offenbar nahe. „Er war Gegner des Nationalsozialismus, zu seiner deutschfeindlichen Tätigkeit habe aber ich ihn angehalten.“ – formulierte Theodor Hespers in der Vernehmung. Max Behretz blieb auch später sein Kontaktmann für Nachrichten aus dem Reich; über ihn fand der Kontakt zu dem deutschen Staatsbürger Wilhelm Peulen statt, der dann als Doppelagent die Gestapoleitstelle Düsseldorf informierte und die Verhaftung des Max Behretz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen mitbewirkte. So wurde Max Behretz bereits am 08. Oktober 1940 verhaftet und am 24. September 1942 aufgrund seiner Spionagetätigkeit im Auftrag von Theodor Hespers hingerichtet. Die Genannten sind beim gegenwärtigen Stand unseres Wissens die wichtigsten Kontaktpersonen in der Zeit 1933-1935. Erst 1935 zog Theo Hespers nach Hellmond, im Mai 1936 zog er dann nach Eindhoven. 1935 in der Wohnung in Hellmond bekam er den ersten Besuch von Dr. Hans Ebeling.

Der „Bündische Arbeitskreis“ und die „Brüsseler Konferenz am 17. und 18. Juli 1937“Letzterer arbeitete in dieser Zeit bereits an einer Zusammenfassung der in der Emigration in den Niederlanden und den angrenzenden Gebieten lebenden Personen. Es ging ihm um ein parteiübergreifendes „bündisches“ Gegengewicht gegen den kommunistischen Einfluß in der Emigration. Theo Hespers verstand sich in allen Äußerungen als Vertreter der katholischen Jugend in der Emigration. In dieser Funktion ist er offenbar von Dr. Hans Ebeling aufgesucht worden. Gemeinsam gründeten sie den „Bündischen Arbeitskreis“, der in der Folge die „Sonderinformationen deutscher Jugend“ für die Presseagenturen des Auslandes herausgab. Dazu waren Kontakte zu Hans Stoffers in Brüssel; Fritz Borinski und Eberhard Koebel, beide in London; Walter Hammer-Hoesterey in Dänemark, Hans Joachim Schoeps in Schweden und K. O. Paetel in Paris aufgenommen worden.Die Aktivitäten dieses Kreises führten zu der wichtigen Brüsseler Konferenz, die Dr. Hans Ebeling und Theodor Hespers für den 17. und 18. Juli 1937 aus Vertretern der unterschiedlichen Parteien und Organisationen einberufen hatten. Das ausführlichste Dokument, das darüber existiert, ist die Vernehmung von Theodor Hespers vom 09. Juli 1942. Danach waren beteiligt: Für die sozialistische Jugend der schon genannte Hans Stoffers. Für die kommunistische Jugend wurden zwei Vertreter genannt, ein „Felix“ (Deckname für Erich Jungmann, KJVD) und ein Werner Kowalski. Für die katholische Jugend stand der Name Theodor Hespers. Die niederländische Jugend war durch Gerrit Aalders vertreten. Für die belgische Jugend war ein gewisser Lavacherie als Vertreter anwesend. Für die englische christliche Jugend sind zwei Vertreter des YMCA, [Bill] Carrit und [Vincent Duncan] Jones von ihm genannt worden. Die deutschen Pfadfinder waren durch Arnold Littmann vertreten.Ziel der Konferenz war es, die Jugendvertretung, die sich in Brüssel traf, als die legale deutsche Jugendvertretung zu deklarieren und gegenüber dem Ausland deutlich zu machen, daß die Hitlerjugend illegal sei. Auf dieser Konferenz kam es zu keiner Einigung. Zerstritten ging man über den Führungsanspruch der Kommunisten auseinander, wobei unklar ist, wieweit die Position des Dr. Hans Ebeling von den anderen geteilt wurde. Deutlich wurde jedenfalls, daß die „Freie Deutsche Jugend“ als Konzept der Volksfront bereits in Paris gegründet worden war und daß die Kommunisten versuchten, auch in diesem Kreis einen Führungsanspruch durchzusetzen. Darauf antwortete das bündische Gegenkonzept der „Deutschen Jugendfront“, wobei die „Kameradschaft“ deren Organ wurde. Folge dieser Konferenz war zunächst die Herausgabe der „Sonderinformationen deutscher Jugend“, ein Presse- und Informationsdienst, der sich besonders an die Presseorgane des Auslands wandte und ihnen Nachrichten über die Situation der deutschen Jugend im Reich zukommen ließ.In der gleichen Zeit, vermutlich im Juni 1937 lernten sich Dr. Hans Ebeling und Selma Cato Meyer in Brüssel im Rahmen eines erweiterten Widerstandskreises persönlich kennen. Gegenüber den bisherigen Annahmen ist der Hinweis wichtig, daß neben Theodor Hespers und Dr. Hans Ebeling eine Reihe anderer Autoren in der „Kameradschaft“ Beiträge verfaßt haben, so u. a. auch Hans Stoffers ein Sozialist aus Frankfurt/Main. Neben dem eigenen Informationsdienst beabsichtigte Dr. Hans Ebeling zudem eigene Pfadfindergruppen im Ausland aufzubauen, einen Plan, den er in der Kriegszeit in der englischen Emigration mit dem Gedanken an die ehemaligen Freikorpsgruppen ergänzte. Sie sollten beim Zusammenbruch des deutschen Reichs für Sicherheit und Ordnung sorgen. Daneben wurde beschlossen, Hilfskomitees für flüchtende Jugendliche in Belgien, Holland und in England aufzubauen. Die Zeitschrift „Die Kameradschaft“ erschien zunächst von Nr. 1 bis Nr. 5 in Brüssel, ab Nr. 6 in Amsterdam. Als Anlaufstellen und Kontaktpersonen für die Verteilung dieser Zeitschrift dienten in Paris Karl Otto Paetel, in Holland und Belgien besonders Theo Hespers und in England ein gewisser William Wolsey sowie ein Vincent Duncan Jones. Letzterer war in leitender Position im YMCA. In Dänemark bestand ein Kontakt zu Walter Hammer-Hoesterey. Er stammte aus Elberfeld, war dort 1888 geboren, in der frühen Jugendbewegung war er durch seine Schrift:“Nietzsche als Erzieher“ (1907) bekannt und in den 20er Jahren als Herausgeber der Zeitschrift „Junge Menschen“. Er war SPD-Mitglied, hatte 1925 den Fackelreiter-Verlag gegründet, war zunächst nach Amsterdam emigriert und über die Schweiz schließlich nach Dänemark gelangt, weil er die Hoffnung hatte, von da aus die besten Einflußmöglichkeiten auf die Situation im Reich zu behalten. Er war in Norddeutschland und Nordeuropa einer der entscheidenden Verteiler der „Kameradschaft“.Daneben bestand in Schweden ein Kontakt zu Hans Joachim Schoeps und einem gewissen Gerhard Lascheit (Deckname: Gerhard Salten). Er war Maler und Schauspielschüler, geb. 1913, hatte eine zweifellos wechselhafte Karriere. 1931/32 war er Mitglied im NS-Schülerbund, bis 1933 gehörte er der Deutschen Freischar an, wechselte 1933/34 in die Hitlerjugend. Aus ihr ist er freiwillig ausgeschieden „der tatsächliche Grund…dürfte in der charakterlichen und bündischen Haltung des Lascheit zu suchen sein“, so die Aussage des Theo Hespers in der Vernehmung. Lascheit hatte – nach Arno Klönne – den Verlag von Günther Wolff in Plauen durch Liedkompositionen unterstützt. Am 01. September 1936 erhielt er eine Haftstrafe, danach emigrierte er nach Schweden.Neben diesen Kontakten existierten Auffangpositionen für Jugendliche in Luxemburg, die mit dem Namen Dr. Wilhelm Solzbacher verbunden waren, in der Schweiz mit Dr. Hans Wirtz und in der Tschechoslowakei mit Hans (Jürgen) Jäger. Dieses war insgesamt das Verteilernetz der „Kameradschaft“, die ohne Unterbrechung regelmäßig bis zum Einmarsch in die Niederlande erschien und insgesamt in einer Auflage von 2000 Exemplaren gedruckt wurde, und wir können davon ausgehen, daß diese 2000 Exemplare in etwa über diese Stationen in Europa verteilt wurden.Das Hilskomitee in den Niederlanden. Komitee für die Unterstützung junger deutscher Flüchtlinge in den Niederlanden.Daneben wurde der Aufbau eines Hilfskomitees besonders in Holland vorangetrieben. Über Selma Meyer hatte Dr. Hans Ebeling einige Empfehlungen für Kontaktpersonen in der holländischen Bevölkerung erhalten, die er umgehend für Gespräche zum Aufbau eines Hilfskomitees nutzte. An erster Stelle stand Gerrit Aalders, der offenbar vor 1933 auch mit Dr. Hans Ebeling Kontakt hatte und im Essener Prozeß gegen den Jungnationalen Bund zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt worden war. Die zweite Kontaktperson war Dr. Willem Verkade, mit beider Hilfe wurde das „Komitee für die Hilfe und Unterstützung junger deutscher Flüchtlinge“ gegründet, wobei in dem vollständigen Titel noch deutlich wird, daß dieses Komitee sich für (nur) für Nicht-Extremisten einsetzen wollte. Ein weiterer Unterstützer war ein Dr. Bernhard Wilhelm Kranenburg, Prokurist einer niederländischen Bank und Gerrit de Jongh, ebenfalls Bankkaufmann. Mit ihrer Hilfe wurden abgelegene Häuser und Unterkünfte erworben, so ein Haus mit der Adresse Roozengracht 33 in Zaandem. Insgesamt wurden ca. 17 Personen namentlich bekannt, die von dem Komitee unterstützt wurden. Zu ihnen zählte Dr. Walter Schuckmann, auf den ich noch ausführlicher zu sprechen kommen werde, Hans Ihle sowie Gerhard Zimmer und Walter Strauch, aber auch die drei Namen Heinrich Schendel, Bruno Cipiella und Heinz Siebert.Der bedeutendste dieser letztgenannten Gruppe war Dr. Walter Schuckmann. Er war Kaufmann und promovierter Geologe aus Frankfurt/Main, Sozialist und mit einer jüdischen Frau verheiratet. Er emigrierte nach England, ließ sich von seiner Frau scheiden und mußte wegen eines Paßvergehens – er hatte ein Reisebüro eröffnet, zu dem er keine Berechtigung besaß – England wieder verlassen. Angeblich war er nach den gegen ihn geführten Ermittlungen noch 1937 in Deutschland zur Devisenbeschaffung. Tatsache ist, daß in den bisherigen Kenntnissen zu der Deutschen Jugendfront der Name des Dr. Walter Schuckmann nicht auftauchte. Dr. Hans Ebeling hat ihn nach 1945 systematisch verschwiegen. Welchen Grund er dazu hatte, können wir heute noch nicht aufklären. Feststeht allerdings, daß Dr. Walter Schuckmann ab Januar 1939 für die Herausgabe der „Kameradschaft“ maßgeblich verantwortlich war. Denn nach Aussagen von Selma Cato Meyer hatte sich Dr. Hans Ebeling in der Nacht des Sylvester 1938/39 sehr betrunken und war wegen Trunkenheit von der Polizei aus Holland ausgewiesen worden. Er hielt sich seitdem in Brüssel auf. In dieser Situation übernahm Dr. Walter Schuckmann die Redaktion der „Kameradschaft“ in dem HTO, dem bekannten Büro Selma Cato Meyers. In dieser Tätigkeit zog Dr. Walter Schuckmann besonders Walter Strauch hinzu, der aus Berlin kam, Mitglied der KPD war, allerdings sehr stark bündisch geprägt. Ende der 20er Jahre hatte er in einem Kabarett mitgearbeitet, gehörte zu einer Agit-Propgruppe, war aber auch im Arbeitersportverein „Fichte“ aktiv und war seinerseits mit Gerhard Zimmer, genannt „nico“, befreundet.Gerhard Zimmer war wegen bündischer Betätigung vor der Verfolgung in Berlin nach Prag ausgewichen und gehörte zu denjenigen, die nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Tschechoslowakei in hohem Maße gefährdet waren. Dieser Gerhard Zimmer und Hans Ihle waren daher die ersten, die per Flugreise vom holländischen Komitee Anfang 1939 von Prag nach Holland geholt wurden. Sie sind dann Ende 1939 weiter nach Australien emigriert, wo ebenfalls ein bündischer Kontakt, Dr. Lichtenstein, existierte. Von Walter Strauch und Dr. Walter Schuckmann wissen wir, daß sie beim Einmarsch der deutschen Truppen im Mai 1940 gemeinsam geflüchtet sind, ihr Ziel war England oder die Schweiz. Wie ich bereits angedeutet habe, hat Dr. Hans Ebeling Dr. Walter Schuckmann nach 1945 nicht erwähnt. Die Personen in seinem Kontext kennen wir nur aufgrund der Tatsache, daß eine Ermittlungsakte der Gestapo über ihn angelegt wurde, die eine Anklage beim Volksgerichtshof vorbereitete.Diese Ermittlungsakte zu Dr. Walter Schuckmann beginnt mit den Aussagen eines Heinrich Schendel und eines Heinz Siebert. Und wenn ich darauf im folgenden genauer eingehe, dann deshalb, weil darin deutlich wird, wie problematisch zum Teil die Kontaktaufnahme und wie oberflächlich die Prüfung der Motive der geflüchteten Jugendlichen war. Heinrich Schendel hatte nach eigener Aussage als Lehrling eine Unterschlagung bei seinem Essener Lehrherrn vorgenommen und, um sich der polizeilichen Verfolgung zu entziehen, war er über die grüne Grenze nach Venlo geflohen. Dort stieß er offenbar auf Dr. Walter Schuckmann, der nach Aussagen des Heinrich Schendel homosexuell war. Heinrich Schendel gab sich als verfolgt wegen bündischer Aktivitäten aus, und wurde in der Folgezeit vom holländischen Komitee unterstützt, untergebracht und arbeitete bei Selma Meyer in deren Büro. Seine Aussagen machen Rivalitäten und Konflikte innerhalb dieser Gruppe der geflüchteten Jugendlichen um Dr. Walter Schuckmann, Hans Ebeling und Selma Meyer sehr deutlich.Nachdem der 2. Weltkrieg am 01. September 1939 begonnen hatte, flüchtete Schendel aus Amsterdam Richtung Deutschland und stellte sich offenbar der deutschen Polizei im Grenzkommissariat Emmerich, wo sein erstes Vernehmungsprotokoll erstellt wurde. Wie ein aufgeschlagenes Buch entblätterte er der Gestapo sämtliche Personenkenntnisse und Kontakte, die von der Gruppe um Theo Hespers und Dr. Hans Ebeling ausgingen. Nicht nur die holländischen, sondern auch die englischen und die übrigen Emigrantenkontakte waren der Gestapo mit einem Schlag zugänglich. Zu seiner weiteren Biografie erfahren wir aus der Akte nur, daß Heinrich Schendel später bei der Waffen-SS Dienst leistete.Nicht anders verhält es sich mit dem Kontakt zu einem gewissen Heinz Siebert. Er und ein gewisser Bruno Cipiella waren befreundete Jugendliche in Berlin. Beide hatten ihr Fahrrad gemeinsam bei einer Sportveranstaltung angeschlossen. Allerdings beging Bruno Cipiella bei dieser Gelegenheit einen Kollegendiebstahl, letzterer schaltete die Polizei ein und da die Fahrräder zusammen angeschlossen waren, wurden Heinz Siebert und Bruno Cipiella gemeinsam verhaftet. Nach dem Verhör und dem Geständnis wurden sie entlassen aber Bruno Cipiella überredete Heinz Siebert, jetzt gemeinsam zu fliehen, da sie keine Chancen mehr in Berlin hätten. Per Anhalter erreichten sie über Hannover die Stadt Essen und gingen von dort aus über die grüne Grenze nach Holland. Denn Bruno Cipiella hatte Briefkontakt mit dem bereits genannten Gerhard Zimmer. Zimmer, den sie unmittelbar aufsuchten, empfahl ihnen vorzugeben, sie würden wegen bündischer Aktivitäten verfolgt. In einem Verhör, das Selma Meyer und Dr. Hans Ebeling bei allen Flüchtlingen durchführten, konnten sie dies glaubhaft behaupten und wurden vom Hilfskomitee aufgenommen und unterstützt. Auch sie wurden mit Hilfsarbeiten im Schreibbüro von Selma Meyer beschäftigt. Heinz Siebert wurde dort im August 1940 nach dem Einmarsch verhaftet. Nach den Aussagen Heinz Sieberts habe Dr. Walter Schuckmann Material über die Reichsautobahnen und die Westwallbauten gesammelt.Die Zusammenarbeit mit dem englischen GeheimdienstWir kommen damit zum letzten großen Komplex, nämlich der Spionagetätigkeit der Gruppe. Erinnern möchte ich an dieser Stelle an den sog. Venloer Zwischenfall: Am 09. November 1939 wurden zwei englische Geheimdienstoffiziere, Captain Best und Major Stevens, von einem deutschen Sonderkommando an der Grenze bei Venlo entführt. Beide wurden in der Folgezeit unmittelbar vernommen, vom 18.11.1939 und 10.12.1939 datierten die Vernehmungsprotokolle der Gestapoleitstelle Düsseldorf. Danach hatten Dr. Hans Ebeling und Theo Hespers zu Stevens durch Dr. Blankenstein Kontakt erhalten. Stevens drückte sich in seiner Aussage sehr unklar aus und belastete Dritte möglichst wenig.Über die Spionagetätigkeit erfahren wir aber Genaueres aus der Vernehmung der Freundin Theo Hespers, Antonia Verhagen. Sie hatte Theodor Hespers auf den Reisen nach England begleitet. Sie hatte ihm eine Dolmetscherin vermittelt, die seine Gespräche in Downing-Street begleitete. Eine weitere. Quelle, über die wir die Spionagetätigkeit im engeren Sinne erfassen können, sind die Berichte eines Abwehragenten, der von der Abwehrstelle Wilhelmshaven als V-Mann in dem englischen Konsulat in den Niederlanden tätig war und die Kontakte von Theodor Hespers mit Stevens unmittelbar an die Abwehrzentrale meldete. Dabei erfahren wir Genaueres über eine bisher unbekannte holländische Informantin, die als gebürtige Deutsche in Zusammenarbeit mit Theodor Hespers mehrmals nach Deutschland reist und Nachrichtenmaterial aus Stuttgart und München beschafft hat. Dabei bestand unter anderem Kontakt zu einem Fliegeroffizier Hincliff (?), dem Theodor Hespers Flugzeugpläne über Flugzeuge mit großer Reichweite vermittelte. Der Abwehragent ist der V-Mann mit der Nr. E 822, der im englischen Konsulat die Zu- und Abgänge Theodor Hespers beobachtete und an die Abwehrstelle Wilhelmshaven übermittelte.Eine weitere Quelle für die Spionagetätigkeit sind die Aussagen von zwei Doppelagenten, die zwischen der Gestapoleitstelle Düsseldorf und Theodor Hespers sowie Max Behretz als Nachrichtenkuriere dienten. Während Theodor Hespers Aufträge erteilte, z. B. Wehrmachtsbewegungen, neue Flugplätze, Flakstellungen, Befestigungsanlagen und Straßenbauten zu erkunden, ging der betreffende Wilhelm Peulen unmittelbar nach der Grenze zur Gestapo und gab seine Erkenntnisse weiter. Die Gestapo übergab ihm fingierte Nachrichten, die er seinerseits an Theodor Hespers übergab. Daraus geht hervor, daß Theodor Hespers ihm u. a. den Auftrag erteilte, ein Benzindepot in der Nähe von Mönchengladbach zu sprengen. Der Sprengstoff sollte über den englischen Geheimdienst vermittelt werden. Neben Wilhelm Peulen war ein gewisser Heinrichs in gleicher Funktion tätig.ZusammenfassungWenn ich zusammenfasse, dann ergeben sich vier große Aktionskreise, in denen sich der Widerstand der Gruppe um Theodor Hespers und Dr. Hans Ebeling entfaltete:1.Der erste Kreis ist derjenige, der mit Otto Engels begann und im Zentrum den Kontakt zu Alfred Katzenstein umfaßte. Er kennzeichnete die frühe Phase bis 1935. Die Prozesse beim Hammer Oberlandesgericht von 1935 scheinen diese Kontakte abgebrochen zu haben.2.Der zweite Kreis ist der bündische Arbeitskreis. Aus ihm geht die Organisation der europaweiten Kontakte, die Redaktion der Zeitschrift „Kameradschaft“ und der Aufbau von Kontakten von Paris über die Niederlande, England, Dänemark, Stockholm bis Prag vor sich.3.Der dritte Kreis umfaßt die Arbeit des Komitees in Holland, die wiederum mit den Namen Dr. Walter Schuckmann, Gerhard Zimmer und Walter Strauch verbunden war, wobei ich die problematischen Kontakte zu Heinz Siebert und Heinrich Schendel zurückstelle.4.Der vierte Kreis umfaßt die im engeren Sinne nachrichtendienstliche Tätigkeit und die Kontakte zum englischen Geheimdienst, der über Dr. Blankenstein zu Major Stevens verlief.Nicht genannt habe ich die Kontakte, die in die Vereinigten Staaten reichten. Klara Leiser, eine Journalistin, hatte über Selma Meyer mit der Gruppe Kontakt aufgenommen. Sie beabsichtigte eine Buchpublikation über die Situation in Deutschland. Neben ihr existierte ein Kontakt zu einer Frau Smolka, einer Jüdin, in Prag, die wie Selma Cato Meyer Mitglied der Frauenliga des Völkerbundes war. Auch nicht genannt habe ich den relativ großen Komplex des Kontaktes Theodor Hespers zu dem katholischen Komitee in Utrecht und seine Tätigkeit als Autor in der Zeitschrift „Der Deutsche Weg“, dem Emigrantenorgan der katholischen Kirche in den Niederlanden. Alles das bleibt noch aufzuarbeiten.

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